Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kleinpaul, Ernst: Die Lehre von den Formen und Gattungen der deutschen Dichtkunst. Für höhere Lehranstalten, so wie zum Selbstunterricht. Barmen, 1843.

Bild:
<< vorherige Seite

pkl_105.001
bezeichnenden poetischen Worten zur Anschauung
pkl_105.002
zu bringen. Später hat es diese Bestimmung pkl_105.003
verloren und man nahm als die wesentliche pkl_105.004
Eigenthümlichkeit des Epigramm's die, überhaupt pkl_105.005
einen sinnreichen, an ein bestimmtes Objekt pkl_105.006
geknüpften Gedanken
in möglichster Kürze pkl_105.007
und vollendeter Form so vorzuführen, daß er pkl_105.008
überraschend und ergreifend wirkt. Soll das pkl_105.009
Epigramm den angegebenen Zweck erreichen, so muß pkl_105.010
der Gegenstand, auf welchen es sich bezieht, immer pkl_105.011
als bekannt vorausgesetzt werden können und die pkl_105.012
bloße Anführung des Namens oder höchstens ein paar, pkl_105.013
als Ueberschrift des Gedichts geltende Worte müssen pkl_105.014
hinreichen, das Bild desselben dem Leser vorzuführen. pkl_105.015
Viele unserer Epigrammdichter haben in dieser Hinsicht pkl_105.016
sehr gefehlt; sie knüpften nämlich ihren sinnreichen Gedanken pkl_105.017
an unbekannte, ja wohl gar an fingirte pkl_105.018
Gegenstände. Dadurch aber muß nothwendig die Wirkung pkl_105.019
des Epigramms geschwächt werden. Dasselbe kann pkl_105.020
wohl überraschen, aber nicht ergreifen. Will pkl_105.021
man aber den Werth des Epigramms bloß darein setzen, pkl_105.022
daß es erst die Aufmerksamkeit spannen und dann dieselbe pkl_105.023
überraschend befriedigen soll, so weis't man es in pkl_105.024
eine ziemlich niedere Spähre. Wir haben es zu beklagen, pkl_105.025
daß sich die meisten unserer Epigrammdichter pkl_105.026
in dieser Spähre bewegen. Sie haben nicht nur das pkl_105.027
ernstgehaltene Epigramm sehr wenig kultivirt und pkl_105.028
dagegen fast nur das witzig-satyrische, das allerdings pkl_105.029
ihrem speziellen Zweck am besten genüget, angebaut, pkl_105.030
sondern sind auch bei diesem in den eben gerügten pkl_105.031
Fehler gefallen: sie bezogen sich nicht auf gegebene

pkl_105.001
bezeichnenden poetischen Worten zur Anschauung
pkl_105.002
zu bringen. Später hat es diese Bestimmung pkl_105.003
verloren und man nahm als die wesentliche pkl_105.004
Eigenthümlichkeit des Epigramm's die, überhaupt pkl_105.005
einen sinnreichen, an ein bestimmtes Objekt pkl_105.006
geknüpften Gedanken
in möglichster Kürze pkl_105.007
und vollendeter Form so vorzuführen, daß er pkl_105.008
überraschend und ergreifend wirkt. Soll das pkl_105.009
Epigramm den angegebenen Zweck erreichen, so muß pkl_105.010
der Gegenstand, auf welchen es sich bezieht, immer pkl_105.011
als bekannt vorausgesetzt werden können und die pkl_105.012
bloße Anführung des Namens oder höchstens ein paar, pkl_105.013
als Ueberschrift des Gedichts geltende Worte müssen pkl_105.014
hinreichen, das Bild desselben dem Leser vorzuführen. pkl_105.015
Viele unserer Epigrammdichter haben in dieser Hinsicht pkl_105.016
sehr gefehlt; sie knüpften nämlich ihren sinnreichen Gedanken pkl_105.017
an unbekannte, ja wohl gar an fingirte pkl_105.018
Gegenstände. Dadurch aber muß nothwendig die Wirkung pkl_105.019
des Epigramms geschwächt werden. Dasselbe kann pkl_105.020
wohl überraschen, aber nicht ergreifen. Will pkl_105.021
man aber den Werth des Epigramms bloß darein setzen, pkl_105.022
daß es erst die Aufmerksamkeit spannen und dann dieselbe pkl_105.023
überraschend befriedigen soll, so weis't man es in pkl_105.024
eine ziemlich niedere Spähre. Wir haben es zu beklagen, pkl_105.025
daß sich die meisten unserer Epigrammdichter pkl_105.026
in dieser Spähre bewegen. Sie haben nicht nur das pkl_105.027
ernstgehaltene Epigramm sehr wenig kultivirt und pkl_105.028
dagegen fast nur das witzig-satyrische, das allerdings pkl_105.029
ihrem speziellen Zweck am besten genüget, angebaut, pkl_105.030
sondern sind auch bei diesem in den eben gerügten pkl_105.031
Fehler gefallen: sie bezogen sich nicht auf gegebene

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><hi rendition="#g"><pb facs="#f0131" n="105"/><lb n="pkl_105.001"/>
bezeichnenden poetischen Worten zur Anschauung</hi><lb n="pkl_105.002"/>
zu bringen. <hi rendition="#g">Später</hi> hat es diese Bestimmung <lb n="pkl_105.003"/>
verloren und man nahm als die <hi rendition="#g">wesentliche</hi> <lb n="pkl_105.004"/>
Eigenthümlichkeit des Epigramm's <hi rendition="#g">die, überhaupt</hi> <lb n="pkl_105.005"/>
einen <hi rendition="#g">sinnreichen,</hi> an ein <hi rendition="#g">bestimmtes Objekt <lb n="pkl_105.006"/>
geknüpften Gedanken</hi> in <hi rendition="#g">möglichster Kürze</hi> <lb n="pkl_105.007"/>
und <hi rendition="#g">vollendeter Form</hi> so vorzuführen, daß er <lb n="pkl_105.008"/> <hi rendition="#g">überraschend</hi> und <hi rendition="#g">ergreifend</hi> wirkt. Soll das <lb n="pkl_105.009"/>
Epigramm den angegebenen Zweck erreichen, so muß <lb n="pkl_105.010"/>
der <hi rendition="#g">Gegenstand,</hi> auf welchen es sich bezieht, immer <lb n="pkl_105.011"/>
als <hi rendition="#g">bekannt</hi> vorausgesetzt werden können und die <lb n="pkl_105.012"/>
bloße Anführung des Namens oder höchstens ein paar, <lb n="pkl_105.013"/>
als Ueberschrift des Gedichts geltende Worte müssen <lb n="pkl_105.014"/>
hinreichen, das Bild desselben dem Leser vorzuführen. <lb n="pkl_105.015"/>
Viele unserer Epigrammdichter haben in dieser Hinsicht <lb n="pkl_105.016"/>
sehr gefehlt; sie knüpften nämlich ihren sinnreichen Gedanken <lb n="pkl_105.017"/>
an <hi rendition="#g">unbekannte,</hi> ja wohl gar an <hi rendition="#g">fingirte</hi> <lb n="pkl_105.018"/>
Gegenstände. Dadurch aber muß nothwendig die Wirkung <lb n="pkl_105.019"/>
des Epigramms geschwächt werden. Dasselbe kann <lb n="pkl_105.020"/>
wohl <hi rendition="#g">überraschen,</hi> aber <hi rendition="#g">nicht ergreifen.</hi> Will <lb n="pkl_105.021"/>
man aber den Werth des Epigramms bloß darein setzen, <lb n="pkl_105.022"/>
daß es erst die Aufmerksamkeit spannen und dann dieselbe <lb n="pkl_105.023"/>
überraschend befriedigen soll, so weis't man es in <lb n="pkl_105.024"/>
eine ziemlich niedere Spähre. Wir haben es zu beklagen, <lb n="pkl_105.025"/>
daß sich die meisten unserer Epigrammdichter <lb n="pkl_105.026"/>
in dieser Spähre bewegen. Sie haben nicht nur das <lb n="pkl_105.027"/> <hi rendition="#g">ernstgehaltene</hi> Epigramm sehr wenig kultivirt und <lb n="pkl_105.028"/>
dagegen fast nur das <hi rendition="#g">witzig-satyrische,</hi> das allerdings <lb n="pkl_105.029"/>
ihrem speziellen Zweck am besten genüget, angebaut, <lb n="pkl_105.030"/>
sondern sind auch bei diesem in den eben gerügten <lb n="pkl_105.031"/>
Fehler gefallen: sie bezogen sich nicht auf <hi rendition="#g">gegebene</hi> </p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[105/0131] pkl_105.001 bezeichnenden poetischen Worten zur Anschauung pkl_105.002 zu bringen. Später hat es diese Bestimmung pkl_105.003 verloren und man nahm als die wesentliche pkl_105.004 Eigenthümlichkeit des Epigramm's die, überhaupt pkl_105.005 einen sinnreichen, an ein bestimmtes Objekt pkl_105.006 geknüpften Gedanken in möglichster Kürze pkl_105.007 und vollendeter Form so vorzuführen, daß er pkl_105.008 überraschend und ergreifend wirkt. Soll das pkl_105.009 Epigramm den angegebenen Zweck erreichen, so muß pkl_105.010 der Gegenstand, auf welchen es sich bezieht, immer pkl_105.011 als bekannt vorausgesetzt werden können und die pkl_105.012 bloße Anführung des Namens oder höchstens ein paar, pkl_105.013 als Ueberschrift des Gedichts geltende Worte müssen pkl_105.014 hinreichen, das Bild desselben dem Leser vorzuführen. pkl_105.015 Viele unserer Epigrammdichter haben in dieser Hinsicht pkl_105.016 sehr gefehlt; sie knüpften nämlich ihren sinnreichen Gedanken pkl_105.017 an unbekannte, ja wohl gar an fingirte pkl_105.018 Gegenstände. Dadurch aber muß nothwendig die Wirkung pkl_105.019 des Epigramms geschwächt werden. Dasselbe kann pkl_105.020 wohl überraschen, aber nicht ergreifen. Will pkl_105.021 man aber den Werth des Epigramms bloß darein setzen, pkl_105.022 daß es erst die Aufmerksamkeit spannen und dann dieselbe pkl_105.023 überraschend befriedigen soll, so weis't man es in pkl_105.024 eine ziemlich niedere Spähre. Wir haben es zu beklagen, pkl_105.025 daß sich die meisten unserer Epigrammdichter pkl_105.026 in dieser Spähre bewegen. Sie haben nicht nur das pkl_105.027 ernstgehaltene Epigramm sehr wenig kultivirt und pkl_105.028 dagegen fast nur das witzig-satyrische, das allerdings pkl_105.029 ihrem speziellen Zweck am besten genüget, angebaut, pkl_105.030 sondern sind auch bei diesem in den eben gerügten pkl_105.031 Fehler gefallen: sie bezogen sich nicht auf gegebene

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Technische Universität Darmstadt, Universität Stuttgart: Bereitstellung der Scan-Digitalisate und der Texttranskription. (2015-09-30T09:54:39Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
TextGrid/DARIAH-DE: Langfristige Bereitstellung der TextGrid/DARIAH-DE-Repository-Ausgabe
Stefan Alscher: Bearbeitung der digitalen Edition - Annotation des Metaphernbegriffs
Hans-Werner Bartz: Bearbeitung der digitalen Edition - Tustep-Unterstützung
Michael Bender: Bearbeitung der digitalen Edition - Koordination, Konzeption (Korpusaufbau, Annotationsschema, Workflow, Publikationsformen), Annotation des Metaphernbegriffs, XML-Auszeichnung)
Leonie Blumenschein: Bearbeitung der digitalen Edition - XML-Auszeichnung
David Glück: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung, Annotation des Metaphernbegriffs, XSL+JavaScript
Constanze Hahn: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung
Philipp Hegel: Bearbeitung der digitalen Edition - XML/XSL/CSS-Unterstützung
Andrea Rapp: ePoetics-Projekt-Koordination
Sandra Richter: ePoetics-Projekt-Koordination

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: wie Vorlage; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: nicht übernommen; Kustoden: nicht übernommen; langes s (ſ): wie Vorlage; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): wie Vorlage; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: nicht übernommen; u/v bzw. U/V: wie Vorlage; Vokale mit übergest. e: wie Vorlage; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kleinpaul_poetik_1843
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kleinpaul_poetik_1843/131
Zitationshilfe: Kleinpaul, Ernst: Die Lehre von den Formen und Gattungen der deutschen Dichtkunst. Für höhere Lehranstalten, so wie zum Selbstunterricht. Barmen, 1843, S. 105. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kleinpaul_poetik_1843/131>, abgerufen am 24.11.2024.