Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kirchhoff, Auguste: Frauenrechte - Volksrechte. Berlin, 1917.

Bild:
<< vorherige Seite

Wenn früher stets auf die erwerbstätige Frau als
auf die Bahnbrecherin zur politischen Befreiung hin-
gewiesen wurde, wenn es schon im Jahre 1908 bei Auf-
hebung des Vereinsgesetzes vom preußischen Minister-
tisch hieß: "Wir können diesen Frauen ihr Recht nicht
mehr vorenthalten", - so bedarf nach den Erfahrungen
des Weltkrieges dieser Standpunkt entschieden der Er-
gänzung. Nicht nur die erwerbstätigen Frauen schaffen
mit am Wohlstand der Nation, sondern in gleichem Maße
die Hausfrauen, durch deren Hände das Nationalver-
mögen als Kleinmünze geht und von deren Einsicht und
Sparsamkeit in Zeiten der Not das Volkswohl mehr ab-
hängig ist, als von irgend einem andern Faktor. Vor
allem aber schaffen die Mütter Werte, lebendige Werte
aus ihrem eigenen Fleisch und Blut, Werte, deren unser
in seiner besten Volkskraft geschwächtes Vaterland nicht
für neue Kriege, sondern zum Aufbau einer neuen,
bessern Kultur mehr bedarf, als alles andere.

Haben diese Frauen, diese Mütter, ohne deren
Leistung der Staat überhaupt nicht denkbar ist, nicht ein
glühendes Interesse an allen Geschehnissen innerer und
äußerer Politik? Haben nicht die Hausfrauen in stets
neuer, banger Sorge erfahren, was es heißt, für den
täglichen Bedarf das Nötigste herbeischaffen, wenn das
Wirtschaftsleben stockt? Und hat nicht unsagbares Leid
das Verlangen der Frauen und Mütter geadelt, mitaufzu-
bauen nach dem Vernichtungswerk des Krieges, damit
ihrer Kinder Land zum schützenden Heim werde, zum
starken Hort wahrer Kulturarbeit? Was aber nützt all
diesen Frauen ein Wahlrecht, das ihnen vielleicht den
Wahlzettel in die Hand gibt, jeden wirklichen Einfluß
auf die Politik aber von vornherein ausschaltet? Wahr-
lich, das Resultat, einigen reichen, alleinstehenden Frauen
und Witwen diesen Einfluß zu verschaffen, scheint mir
kein Preis, all unseres Kampfes wert; um so weniger,
als diese Frauen, einmal ins Parteigetriebe hineinge-
zogen, kaum die geeigneten sein dürften, nun auch der
erwerbstätigen, der Proletarierfrau ihre Rechte er-
kämpfen zu helfen, sondern höchst wahrscheinlich nur
eine Stärkung konservativer Kräfte bedeuten würden.

Ein wirkliches Stimmrecht, das vor allem die, die
es am nötigsten brauchen, die wirtschaftlich Schwachen,
umfaßt, ist nur denkbar auf Grund des allgemeinen, glei-

Wenn früher stets auf die erwerbstätige Frau als
auf die Bahnbrecherin zur politischen Befreiung hin-
gewiesen wurde, wenn es schon im Jahre 1908 bei Auf-
hebung des Vereinsgesetzes vom preußischen Minister-
tisch hieß: „Wir können diesen Frauen ihr Recht nicht
mehr vorenthalten“, – so bedarf nach den Erfahrungen
des Weltkrieges dieser Standpunkt entschieden der Er-
gänzung. Nicht nur die erwerbstätigen Frauen schaffen
mit am Wohlstand der Nation, sondern in gleichem Maße
die Hausfrauen, durch deren Hände das Nationalver-
mögen als Kleinmünze geht und von deren Einsicht und
Sparsamkeit in Zeiten der Not das Volkswohl mehr ab-
hängig ist, als von irgend einem andern Faktor. Vor
allem aber schaffen die Mütter Werte, lebendige Werte
aus ihrem eigenen Fleisch und Blut, Werte, deren unser
in seiner besten Volkskraft geschwächtes Vaterland nicht
für neue Kriege, sondern zum Aufbau einer neuen,
bessern Kultur mehr bedarf, als alles andere.

Haben diese Frauen, diese Mütter, ohne deren
Leistung der Staat überhaupt nicht denkbar ist, nicht ein
glühendes Interesse an allen Geschehnissen innerer und
äußerer Politik? Haben nicht die Hausfrauen in stets
neuer, banger Sorge erfahren, was es heißt, für den
täglichen Bedarf das Nötigste herbeischaffen, wenn das
Wirtschaftsleben stockt? Und hat nicht unsagbares Leid
das Verlangen der Frauen und Mütter geadelt, mitaufzu-
bauen nach dem Vernichtungswerk des Krieges, damit
ihrer Kinder Land zum schützenden Heim werde, zum
starken Hort wahrer Kulturarbeit? Was aber nützt all
diesen Frauen ein Wahlrecht, das ihnen vielleicht den
Wahlzettel in die Hand gibt, jeden wirklichen Einfluß
auf die Politik aber von vornherein ausschaltet? Wahr-
lich, das Resultat, einigen reichen, alleinstehenden Frauen
und Witwen diesen Einfluß zu verschaffen, scheint mir
kein Preis, all unseres Kampfes wert; um so weniger,
als diese Frauen, einmal ins Parteigetriebe hineinge-
zogen, kaum die geeigneten sein dürften, nun auch der
erwerbstätigen, der Proletarierfrau ihre Rechte er-
kämpfen zu helfen, sondern höchst wahrscheinlich nur
eine Stärkung konservativer Kräfte bedeuten würden.

Ein wirkliches Stimmrecht, das vor allem die, die
es am nötigsten brauchen, die wirtschaftlich Schwachen,
umfaßt, ist nur denkbar auf Grund des allgemeinen, glei-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0010" n="10"/>
        <p>Wenn früher stets auf die erwerbstätige Frau als<lb/>
auf die Bahnbrecherin zur politischen Befreiung hin-<lb/>
gewiesen wurde, wenn es schon im Jahre 1908 bei Auf-<lb/>
hebung des Vereinsgesetzes vom preußischen Minister-<lb/>
tisch hieß: &#x201E;Wir können diesen Frauen ihr Recht nicht<lb/>
mehr vorenthalten&#x201C;, &#x2013; so bedarf nach den Erfahrungen<lb/>
des Weltkrieges dieser Standpunkt entschieden der Er-<lb/>
gänzung. Nicht nur die erwerbstätigen Frauen schaffen<lb/>
mit am Wohlstand der Nation, sondern in gleichem Maße<lb/>
die Hausfrauen, durch deren Hände das Nationalver-<lb/>
mögen als Kleinmünze geht und von deren Einsicht und<lb/>
Sparsamkeit in Zeiten der Not das Volkswohl mehr ab-<lb/>
hängig ist, als von irgend einem andern Faktor. Vor<lb/>
allem aber schaffen die Mütter Werte, lebendige Werte<lb/>
aus ihrem eigenen Fleisch und Blut, Werte, deren unser<lb/>
in seiner besten Volkskraft geschwächtes Vaterland nicht<lb/>
für neue Kriege, sondern zum Aufbau einer neuen,<lb/>
bessern Kultur mehr bedarf, als alles andere.</p><lb/>
        <p>Haben diese Frauen, diese Mütter, ohne deren<lb/>
Leistung der Staat überhaupt nicht denkbar ist, nicht ein<lb/>
glühendes Interesse an allen Geschehnissen innerer und<lb/>
äußerer Politik? Haben nicht die Hausfrauen in stets<lb/>
neuer, banger Sorge erfahren, was es heißt, für den<lb/>
täglichen Bedarf das Nötigste herbeischaffen, wenn das<lb/>
Wirtschaftsleben stockt? Und hat nicht unsagbares Leid<lb/>
das Verlangen der Frauen und Mütter geadelt, mitaufzu-<lb/>
bauen nach dem Vernichtungswerk des Krieges, damit<lb/>
ihrer Kinder Land zum schützenden Heim werde, zum<lb/>
starken Hort wahrer Kulturarbeit? Was aber nützt all<lb/>
diesen Frauen ein Wahlrecht, das ihnen vielleicht den<lb/>
Wahlzettel in die Hand gibt, jeden wirklichen Einfluß<lb/>
auf die Politik aber von vornherein ausschaltet? Wahr-<lb/>
lich, das Resultat, einigen reichen, alleinstehenden Frauen<lb/>
und Witwen diesen Einfluß zu verschaffen, scheint mir<lb/>
kein Preis, all unseres Kampfes wert; um so weniger,<lb/>
als diese Frauen, einmal ins Parteigetriebe hineinge-<lb/>
zogen, kaum die geeigneten sein dürften, nun auch der<lb/>
erwerbstätigen, der Proletarierfrau ihre Rechte er-<lb/>
kämpfen zu helfen, sondern höchst wahrscheinlich nur<lb/>
eine Stärkung konservativer Kräfte bedeuten würden.</p><lb/>
        <p>Ein wirkliches Stimmrecht, das vor allem die, die<lb/>
es am nötigsten brauchen, die wirtschaftlich Schwachen,<lb/>
umfaßt, ist nur denkbar auf Grund des allgemeinen, glei-<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[10/0010] Wenn früher stets auf die erwerbstätige Frau als auf die Bahnbrecherin zur politischen Befreiung hin- gewiesen wurde, wenn es schon im Jahre 1908 bei Auf- hebung des Vereinsgesetzes vom preußischen Minister- tisch hieß: „Wir können diesen Frauen ihr Recht nicht mehr vorenthalten“, – so bedarf nach den Erfahrungen des Weltkrieges dieser Standpunkt entschieden der Er- gänzung. Nicht nur die erwerbstätigen Frauen schaffen mit am Wohlstand der Nation, sondern in gleichem Maße die Hausfrauen, durch deren Hände das Nationalver- mögen als Kleinmünze geht und von deren Einsicht und Sparsamkeit in Zeiten der Not das Volkswohl mehr ab- hängig ist, als von irgend einem andern Faktor. Vor allem aber schaffen die Mütter Werte, lebendige Werte aus ihrem eigenen Fleisch und Blut, Werte, deren unser in seiner besten Volkskraft geschwächtes Vaterland nicht für neue Kriege, sondern zum Aufbau einer neuen, bessern Kultur mehr bedarf, als alles andere. Haben diese Frauen, diese Mütter, ohne deren Leistung der Staat überhaupt nicht denkbar ist, nicht ein glühendes Interesse an allen Geschehnissen innerer und äußerer Politik? Haben nicht die Hausfrauen in stets neuer, banger Sorge erfahren, was es heißt, für den täglichen Bedarf das Nötigste herbeischaffen, wenn das Wirtschaftsleben stockt? Und hat nicht unsagbares Leid das Verlangen der Frauen und Mütter geadelt, mitaufzu- bauen nach dem Vernichtungswerk des Krieges, damit ihrer Kinder Land zum schützenden Heim werde, zum starken Hort wahrer Kulturarbeit? Was aber nützt all diesen Frauen ein Wahlrecht, das ihnen vielleicht den Wahlzettel in die Hand gibt, jeden wirklichen Einfluß auf die Politik aber von vornherein ausschaltet? Wahr- lich, das Resultat, einigen reichen, alleinstehenden Frauen und Witwen diesen Einfluß zu verschaffen, scheint mir kein Preis, all unseres Kampfes wert; um so weniger, als diese Frauen, einmal ins Parteigetriebe hineinge- zogen, kaum die geeigneten sein dürften, nun auch der erwerbstätigen, der Proletarierfrau ihre Rechte er- kämpfen zu helfen, sondern höchst wahrscheinlich nur eine Stärkung konservativer Kräfte bedeuten würden. Ein wirkliches Stimmrecht, das vor allem die, die es am nötigsten brauchen, die wirtschaftlich Schwachen, umfaßt, ist nur denkbar auf Grund des allgemeinen, glei-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Texte der ersten Frauenbewegung, betreut von Anna Pfundt und Thomas Gloning, JLU Gießen: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-08-12T15:03:55Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Anna Pfundt: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-08-12T15:03:55Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: keine Angabe; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): gekennzeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: keine Angabe; Kolumnentitel: keine Angabe; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: wie Vorlage; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kirchhoff_volksrechte_1917
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kirchhoff_volksrechte_1917/10
Zitationshilfe: Kirchhoff, Auguste: Frauenrechte - Volksrechte. Berlin, 1917, S. 10. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kirchhoff_volksrechte_1917/10>, abgerufen am 19.04.2024.