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Kirchhoff, Auguste: Warum muß der Deutsche Verband für Frauenstimmrecht sich zum allgemeinen, gleichen, geheimen und direkten Wahlrecht bekennen? Bremen, 1912.

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stellt, für ein beschränktes Wahlrecht eintraten, ist mir ganz unverständlich.
Auch nur einigermaßen politisch geschulte Menschen, die die englischen
Verhältnisse oberflächlich kennen, können damit gar nicht ernstlich irgend-
welche Rückschlüsse auf unsre deutschen Verhältnisse rechtfertigen. Ebenso
verschieden wie die Kampfesweise der deutschen und englischen
Frauen ist und bleiben wird, ebenso verschieden sind auch die
politischen Verhältnisse beider Länder
. Auf deutsche Verhältnisse
übertragen, würde beispielsweise die Taktik der englischen Suffragettes,
die gegen ihre Regierung den Krieg bis aufs Messer führen, um sie zu
schwächen, nichts anderes bedeuten als ein rücksichtsloses Eintreten des
deutschen Stimmrechtsverbandes für die Sozialdemokratie in allen
Stichwahlen.

Für uns deutsche Frauen ist die Kampfesweise der englischen
Suffragettes, vor deren Heroismus und Opferwilligkeit wir die größte
Hochachtung haben, überhaupt nur zu verstehen aus der genauen Kenntnis
der politischen Verhältnisse, der politischen Bräuche in England. Und
ebensowenig, wie wir nun kritiklos diese Kampfmethode als vorbildlich
auch für uns hinnehmen, können wir die bisherige Wahlrechtsforderung
der englischen Frauen als auch für unser Vaterland geeignet ansehen.
Wenn je so gilt hier das Sprichwort: "Eines schickt sich nicht für alle",
so grundverschieden sind beide Länder.

Jn England, einem parlamentarisch liberal regierten Land mit
voller Ministerverantwortlichkeit dem Volk gegenüber, das aber noch kein
allgemeines Wahlrecht hat, ist nach Aussage seiner politisch orientierten
Männer und Frauen momentan die >eine brennende Frage, die im
Mittelpunkt der inneren Politik steht, die Frage des Frauenstimmrechts.
Jhre Anhänger und Gegner sind nicht nach Parteien geschieden, sondern
in den beiden großen Parteien, der konservativen wie der liberalen,
sind Freunde und Feinde zu finden, während die Arbeiterpartei wohl
ziemlich geschlossen das Frauenstimmrecht unterstützt.

Jn England kämpfen außerdem die Frauen für etwas, was sie
schon einmal besessen haben.

Paßt irgendeiner dieser Punkte für unser deutsches Vater-
land? Jch wüßte keinen
. Auch der größte Optimist wird nicht be-
haupten können, daß bei uns das Frauenstimmrecht die Frage ist, um
die sich alles dreht! Bei uns fand die im Verhältnis zu England noch
so junge und ungeschulte politische Frauenbewegung ganz andere gegebene
Verhältnisse vor, mit denen sie zu rechnen hatte. Und noch einmal
möchte ich betonen, daß ein politisch geschulter Mensch unmöglich
auf den Gedanken verfallen kann, englische Forderungen und

stellt, für ein beschränktes Wahlrecht eintraten, ist mir ganz unverständlich.
Auch nur einigermaßen politisch geschulte Menschen, die die englischen
Verhältnisse oberflächlich kennen, können damit gar nicht ernstlich irgend-
welche Rückschlüsse auf unsre deutschen Verhältnisse rechtfertigen. Ebenso
verschieden wie die Kampfesweise der deutschen und englischen
Frauen ist und bleiben wird, ebenso verschieden sind auch die
politischen Verhältnisse beider Länder
. Auf deutsche Verhältnisse
übertragen, würde beispielsweise die Taktik der englischen Suffragettes,
die gegen ihre Regierung den Krieg bis aufs Messer führen, um sie zu
schwächen, nichts anderes bedeuten als ein rücksichtsloses Eintreten des
deutschen Stimmrechtsverbandes für die Sozialdemokratie in allen
Stichwahlen.

Für uns deutsche Frauen ist die Kampfesweise der englischen
Suffragettes, vor deren Heroismus und Opferwilligkeit wir die größte
Hochachtung haben, überhaupt nur zu verstehen aus der genauen Kenntnis
der politischen Verhältnisse, der politischen Bräuche in England. Und
ebensowenig, wie wir nun kritiklos diese Kampfmethode als vorbildlich
auch für uns hinnehmen, können wir die bisherige Wahlrechtsforderung
der englischen Frauen als auch für unser Vaterland geeignet ansehen.
Wenn je so gilt hier das Sprichwort: „Eines schickt sich nicht für alle“,
so grundverschieden sind beide Länder.

Jn England, einem parlamentarisch liberal regierten Land mit
voller Ministerverantwortlichkeit dem Volk gegenüber, das aber noch kein
allgemeines Wahlrecht hat, ist nach Aussage seiner politisch orientierten
Männer und Frauen momentan die >eine brennende Frage, die im
Mittelpunkt der inneren Politik steht, die Frage des Frauenstimmrechts.
Jhre Anhänger und Gegner sind nicht nach Parteien geschieden, sondern
in den beiden großen Parteien, der konservativen wie der liberalen,
sind Freunde und Feinde zu finden, während die Arbeiterpartei wohl
ziemlich geschlossen das Frauenstimmrecht unterstützt.

Jn England kämpfen außerdem die Frauen für etwas, was sie
schon einmal besessen haben.

Paßt irgendeiner dieser Punkte für unser deutsches Vater-
land? Jch wüßte keinen
. Auch der größte Optimist wird nicht be-
haupten können, daß bei uns das Frauenstimmrecht die Frage ist, um
die sich alles dreht! Bei uns fand die im Verhältnis zu England noch
so junge und ungeschulte politische Frauenbewegung ganz andere gegebene
Verhältnisse vor, mit denen sie zu rechnen hatte. Und noch einmal
möchte ich betonen, daß ein politisch geschulter Mensch unmöglich
auf den Gedanken verfallen kann, englische Forderungen und

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[23/0023] stellt, für ein beschränktes Wahlrecht eintraten, ist mir ganz unverständlich. Auch nur einigermaßen politisch geschulte Menschen, die die englischen Verhältnisse oberflächlich kennen, können damit gar nicht ernstlich irgend- welche Rückschlüsse auf unsre deutschen Verhältnisse rechtfertigen. Ebenso verschieden wie die Kampfesweise der deutschen und englischen Frauen ist und bleiben wird, ebenso verschieden sind auch die politischen Verhältnisse beider Länder. Auf deutsche Verhältnisse übertragen, würde beispielsweise die Taktik der englischen Suffragettes, die gegen ihre Regierung den Krieg bis aufs Messer führen, um sie zu schwächen, nichts anderes bedeuten als ein rücksichtsloses Eintreten des deutschen Stimmrechtsverbandes für die Sozialdemokratie in allen Stichwahlen. Für uns deutsche Frauen ist die Kampfesweise der englischen Suffragettes, vor deren Heroismus und Opferwilligkeit wir die größte Hochachtung haben, überhaupt nur zu verstehen aus der genauen Kenntnis der politischen Verhältnisse, der politischen Bräuche in England. Und ebensowenig, wie wir nun kritiklos diese Kampfmethode als vorbildlich auch für uns hinnehmen, können wir die bisherige Wahlrechtsforderung der englischen Frauen als auch für unser Vaterland geeignet ansehen. Wenn je so gilt hier das Sprichwort: „Eines schickt sich nicht für alle“, so grundverschieden sind beide Länder. Jn England, einem parlamentarisch liberal regierten Land mit voller Ministerverantwortlichkeit dem Volk gegenüber, das aber noch kein allgemeines Wahlrecht hat, ist nach Aussage seiner politisch orientierten Männer und Frauen momentan die >eine brennende Frage, die im Mittelpunkt der inneren Politik steht, die Frage des Frauenstimmrechts. Jhre Anhänger und Gegner sind nicht nach Parteien geschieden, sondern in den beiden großen Parteien, der konservativen wie der liberalen, sind Freunde und Feinde zu finden, während die Arbeiterpartei wohl ziemlich geschlossen das Frauenstimmrecht unterstützt. Jn England kämpfen außerdem die Frauen für etwas, was sie schon einmal besessen haben. Paßt irgendeiner dieser Punkte für unser deutsches Vater- land? Jch wüßte keinen. Auch der größte Optimist wird nicht be- haupten können, daß bei uns das Frauenstimmrecht die Frage ist, um die sich alles dreht! Bei uns fand die im Verhältnis zu England noch so junge und ungeschulte politische Frauenbewegung ganz andere gegebene Verhältnisse vor, mit denen sie zu rechnen hatte. Und noch einmal möchte ich betonen, daß ein politisch geschulter Mensch unmöglich auf den Gedanken verfallen kann, englische Forderungen und

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Anna Pfundt: Erstellung der Transkription nach DTA-Richtlinien (2014-07-16T11:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Texte der ersten Frauenbewegung, betreut von Anna Pfundt und Thomas Gloning, JLU Gießen: Konvertierung nach DTA-Basisformat (2014-07-16T11:00:00Z)

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Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: keine Angabe; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): gekennzeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: keine Angabe; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: wie Vorlage; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;




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Zitationshilfe: Kirchhoff, Auguste: Warum muß der Deutsche Verband für Frauenstimmrecht sich zum allgemeinen, gleichen, geheimen und direkten Wahlrecht bekennen? Bremen, 1912, S. 23. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kirchhoff_frauenstimmrecht_1912/23>, abgerufen am 22.11.2024.