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Kirchhoff, Auguste: Warum muß der Deutsche Verband für Frauenstimmrecht sich zum allgemeinen, gleichen, geheimen und direkten Wahlrecht bekennen? Bremen, 1912.

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Gros der Frauen überhaupt, würden nur die Zahl der politisch Einfluß-
losen vermehren. Nur einige begüterte, selbständige unverheiratete Frauen
oder Witwen würden eine Stimme erhalten, die nicht nur auf dem
Papier steht.

Das ist zweifellos kein erstrebenswertes Ziel für die
Frauen
!

Bismarck nennt dies Wahlsystem "das elendeste und wider-
sinnigste Wahlgesetz
, das je in irgend einem Staate ausgedacht worden
ist!" Naumann nennt es ein unanständiges Wahlrecht.

Wollen wir Frauen für ein solches Wahlgesetz stimmen?! Oder
haben wir Solidaritätsgefühl genug, um den preußischen Landesverein,
der doch auch einen Teil unseres Verbandes ausmacht, in seinem Kampf
gegen dies Wahlsystem zu unterstützen?

Ein anderer Wahlrechtsmodus, für den nationalliberale Elemente viel-
fach eintreten und der z. B. im Königreich Sachsen seit 1909 das Dreiklassen-
wahlrecht abgelöst hat, ist das Pluralwahlrecht. Je nach Besitz, Alter
und Bildung bekommt der Staatsbürger eine zweite und dritte Stimme.
Die Schäden des an den Besitz geknüpften Wahlrechts sind Jhnen soeben
vor Augen geführt. Gerechter erscheinen auf den ersten Blick die beiden
anderen Voraussetzungen. Größere Reife - das scheint nicht so unbillig.
Aber auch hier ist zu berücksichtigen, daß eine starke Benachteiligung
der arbeitenden Klasse
vorliegt. Ein Arbeiter, der unter ungünstigeren
Arbeitsbedingungen steht, wie der Besitzende, ist im allgemeinen früher
aufgebraucht und wird somit schwerer in den Besitz einer Stimme gelangen.
Bildung aber ist größtenteils auch an den Besitz geknüpft und
den unteren Klassen schwerer zugänglich. - Außerdem:garantiert der
Besuch einer höheren Schule ohne weiteres größere politische
Reife
? Hat nicht häufig ein Arbeiter, ein Angestellter, den sein Beruf
mitten hineinstellt ins Leben, in die praktische Arbeit, in die unmittelbare
Berührung mit tausend sozialen Problemen, mehr Verständnis für das
Jnteresse der Allgemeinheit, als der frühere Korpsstudent, der Sohn
wohlhabender Eltern, der des Lebens Not nie am eigenen Leibe erfahren,
der oft nur sich, seinen studentischen und Fach-Jnteressen, seinen Jugend-
freuden gelebt hat?

Und was bringt das Pluralwahlrecht den Frauen?

Rechtlosigkeit und starke Benachteiligung den Männern
gegenüber mit Rücksicht auf die schlechtere Entlohnung weiblicher Arbeits-
leistung, mit Rücksicht auch auf die im Durchschnitt tieferstehende, jedenfalls
geringer gewertete Bildung. Das Mädchenschulwesen gehört heute noch,
soweit es nicht Gymnasien und Realgymnasien umfaßt, zum niederen

Gros der Frauen überhaupt, würden nur die Zahl der politisch Einfluß-
losen vermehren. Nur einige begüterte, selbständige unverheiratete Frauen
oder Witwen würden eine Stimme erhalten, die nicht nur auf dem
Papier steht.

Das ist zweifellos kein erstrebenswertes Ziel für die
Frauen
!

Bismarck nennt dies Wahlsystem „das elendeste und wider-
sinnigste Wahlgesetz
, das je in irgend einem Staate ausgedacht worden
ist!“ Naumann nennt es ein unanständiges Wahlrecht.

Wollen wir Frauen für ein solches Wahlgesetz stimmen?! Oder
haben wir Solidaritätsgefühl genug, um den preußischen Landesverein,
der doch auch einen Teil unseres Verbandes ausmacht, in seinem Kampf
gegen dies Wahlsystem zu unterstützen?

Ein anderer Wahlrechtsmodus, für den nationalliberale Elemente viel-
fach eintreten und der z. B. im Königreich Sachsen seit 1909 das Dreiklassen-
wahlrecht abgelöst hat, ist das Pluralwahlrecht. Je nach Besitz, Alter
und Bildung bekommt der Staatsbürger eine zweite und dritte Stimme.
Die Schäden des an den Besitz geknüpften Wahlrechts sind Jhnen soeben
vor Augen geführt. Gerechter erscheinen auf den ersten Blick die beiden
anderen Voraussetzungen. Größere Reife – das scheint nicht so unbillig.
Aber auch hier ist zu berücksichtigen, daß eine starke Benachteiligung
der arbeitenden Klasse
vorliegt. Ein Arbeiter, der unter ungünstigeren
Arbeitsbedingungen steht, wie der Besitzende, ist im allgemeinen früher
aufgebraucht und wird somit schwerer in den Besitz einer Stimme gelangen.
Bildung aber ist größtenteils auch an den Besitz geknüpft und
den unteren Klassen schwerer zugänglich. – Außerdem:garantiert der
Besuch einer höheren Schule ohne weiteres größere politische
Reife
? Hat nicht häufig ein Arbeiter, ein Angestellter, den sein Beruf
mitten hineinstellt ins Leben, in die praktische Arbeit, in die unmittelbare
Berührung mit tausend sozialen Problemen, mehr Verständnis für das
Jnteresse der Allgemeinheit, als der frühere Korpsstudent, der Sohn
wohlhabender Eltern, der des Lebens Not nie am eigenen Leibe erfahren,
der oft nur sich, seinen studentischen und Fach-Jnteressen, seinen Jugend-
freuden gelebt hat?

Und was bringt das Pluralwahlrecht den Frauen?

Rechtlosigkeit und starke Benachteiligung den Männern
gegenüber mit Rücksicht auf die schlechtere Entlohnung weiblicher Arbeits-
leistung, mit Rücksicht auch auf die im Durchschnitt tieferstehende, jedenfalls
geringer gewertete Bildung. Das Mädchenschulwesen gehört heute noch,
soweit es nicht Gymnasien und Realgymnasien umfaßt, zum niederen

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[19/0019] Gros der Frauen überhaupt, würden nur die Zahl der politisch Einfluß- losen vermehren. Nur einige begüterte, selbständige unverheiratete Frauen oder Witwen würden eine Stimme erhalten, die nicht nur auf dem Papier steht. Das ist zweifellos kein erstrebenswertes Ziel für die Frauen! Bismarck nennt dies Wahlsystem „das elendeste und wider- sinnigste Wahlgesetz, das je in irgend einem Staate ausgedacht worden ist!“ Naumann nennt es ein unanständiges Wahlrecht. Wollen wir Frauen für ein solches Wahlgesetz stimmen?! Oder haben wir Solidaritätsgefühl genug, um den preußischen Landesverein, der doch auch einen Teil unseres Verbandes ausmacht, in seinem Kampf gegen dies Wahlsystem zu unterstützen? Ein anderer Wahlrechtsmodus, für den nationalliberale Elemente viel- fach eintreten und der z. B. im Königreich Sachsen seit 1909 das Dreiklassen- wahlrecht abgelöst hat, ist das Pluralwahlrecht. Je nach Besitz, Alter und Bildung bekommt der Staatsbürger eine zweite und dritte Stimme. Die Schäden des an den Besitz geknüpften Wahlrechts sind Jhnen soeben vor Augen geführt. Gerechter erscheinen auf den ersten Blick die beiden anderen Voraussetzungen. Größere Reife – das scheint nicht so unbillig. Aber auch hier ist zu berücksichtigen, daß eine starke Benachteiligung der arbeitenden Klasse vorliegt. Ein Arbeiter, der unter ungünstigeren Arbeitsbedingungen steht, wie der Besitzende, ist im allgemeinen früher aufgebraucht und wird somit schwerer in den Besitz einer Stimme gelangen. Bildung aber ist größtenteils auch an den Besitz geknüpft und den unteren Klassen schwerer zugänglich. – Außerdem:garantiert der Besuch einer höheren Schule ohne weiteres größere politische Reife? Hat nicht häufig ein Arbeiter, ein Angestellter, den sein Beruf mitten hineinstellt ins Leben, in die praktische Arbeit, in die unmittelbare Berührung mit tausend sozialen Problemen, mehr Verständnis für das Jnteresse der Allgemeinheit, als der frühere Korpsstudent, der Sohn wohlhabender Eltern, der des Lebens Not nie am eigenen Leibe erfahren, der oft nur sich, seinen studentischen und Fach-Jnteressen, seinen Jugend- freuden gelebt hat? Und was bringt das Pluralwahlrecht den Frauen? Rechtlosigkeit und starke Benachteiligung den Männern gegenüber mit Rücksicht auf die schlechtere Entlohnung weiblicher Arbeits- leistung, mit Rücksicht auch auf die im Durchschnitt tieferstehende, jedenfalls geringer gewertete Bildung. Das Mädchenschulwesen gehört heute noch, soweit es nicht Gymnasien und Realgymnasien umfaßt, zum niederen

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Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Anna Pfundt: Erstellung der Transkription nach DTA-Richtlinien (2014-07-16T11:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Texte der ersten Frauenbewegung, betreut von Anna Pfundt und Thomas Gloning, JLU Gießen: Konvertierung nach DTA-Basisformat (2014-07-16T11:00:00Z)

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Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: keine Angabe; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): gekennzeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: keine Angabe; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: wie Vorlage; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;




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Zitationshilfe: Kirchhoff, Auguste: Warum muß der Deutsche Verband für Frauenstimmrecht sich zum allgemeinen, gleichen, geheimen und direkten Wahlrecht bekennen? Bremen, 1912, S. 19. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kirchhoff_frauenstimmrecht_1912/19>, abgerufen am 23.11.2024.