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Kinkel, Johanna: Musikalische Orthodoxie. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 17. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 99–171. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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Die Künstlerin war früh verwais't von entfernten Verwandten in Obhut genommen worden. Ein verständiger Vormund hatte ihr kleines Vermögen größtentheils dazu verwendet, ihr hervorragendes Talent für die Musik ausbilden zu lassen. Jetzt war sie selbständig und hatte den Rest ihres Eigenthums für einen Flügel von Erard hingegeben. Kaum so viel blieb ihr übrig, daß sie die Reisekosten nach ihrem Bestimmungsort und eine sehr einfache Einrichtung bestreiten konnte.

Umherreisen und Concerte geben mochte sie nicht, da ihre musikalische Richtung zu sehr dem herrschenden Geschmack des Publicums entgegenstand; auch hätte sich ihr abgeschlossener Charakter nie zu den tausend kleinen Demüthigungen hergegeben, die Keinem erlassen werden, der noch unbekannt in der Fremde seine Erfolge sucht. Lieber wollte sie in einer bedeutenden Stadt als Lehrerin ihr Heil versuchen und, indem sie das Opfer brachte, Anfänger zu bilden, sich so die Mittel erwerben, um auf jene höchste Kunststufe zu gelangen, die ihr in der abgelegenen Heimatstadt unerreichbar war.

Jetzt war sie bei einer alten Freundin ihrer verstorbenen Mutter gastlich aufgenommen worden. Es war die Frau des Amtmanns Werl in Waldheim, welches eine Stunde von der Hauptstadt in einem Gebirgsthale lag. So lange sollte sie dort verweilen, bis sie eine passende Wohnung und einige Schülerinnen

Die Künstlerin war früh verwais't von entfernten Verwandten in Obhut genommen worden. Ein verständiger Vormund hatte ihr kleines Vermögen größtentheils dazu verwendet, ihr hervorragendes Talent für die Musik ausbilden zu lassen. Jetzt war sie selbständig und hatte den Rest ihres Eigenthums für einen Flügel von Erard hingegeben. Kaum so viel blieb ihr übrig, daß sie die Reisekosten nach ihrem Bestimmungsort und eine sehr einfache Einrichtung bestreiten konnte.

Umherreisen und Concerte geben mochte sie nicht, da ihre musikalische Richtung zu sehr dem herrschenden Geschmack des Publicums entgegenstand; auch hätte sich ihr abgeschlossener Charakter nie zu den tausend kleinen Demüthigungen hergegeben, die Keinem erlassen werden, der noch unbekannt in der Fremde seine Erfolge sucht. Lieber wollte sie in einer bedeutenden Stadt als Lehrerin ihr Heil versuchen und, indem sie das Opfer brachte, Anfänger zu bilden, sich so die Mittel erwerben, um auf jene höchste Kunststufe zu gelangen, die ihr in der abgelegenen Heimatstadt unerreichbar war.

Jetzt war sie bei einer alten Freundin ihrer verstorbenen Mutter gastlich aufgenommen worden. Es war die Frau des Amtmanns Werl in Waldheim, welches eine Stunde von der Hauptstadt in einem Gebirgsthale lag. So lange sollte sie dort verweilen, bis sie eine passende Wohnung und einige Schülerinnen

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[0008] Die Künstlerin war früh verwais't von entfernten Verwandten in Obhut genommen worden. Ein verständiger Vormund hatte ihr kleines Vermögen größtentheils dazu verwendet, ihr hervorragendes Talent für die Musik ausbilden zu lassen. Jetzt war sie selbständig und hatte den Rest ihres Eigenthums für einen Flügel von Erard hingegeben. Kaum so viel blieb ihr übrig, daß sie die Reisekosten nach ihrem Bestimmungsort und eine sehr einfache Einrichtung bestreiten konnte. Umherreisen und Concerte geben mochte sie nicht, da ihre musikalische Richtung zu sehr dem herrschenden Geschmack des Publicums entgegenstand; auch hätte sich ihr abgeschlossener Charakter nie zu den tausend kleinen Demüthigungen hergegeben, die Keinem erlassen werden, der noch unbekannt in der Fremde seine Erfolge sucht. Lieber wollte sie in einer bedeutenden Stadt als Lehrerin ihr Heil versuchen und, indem sie das Opfer brachte, Anfänger zu bilden, sich so die Mittel erwerben, um auf jene höchste Kunststufe zu gelangen, die ihr in der abgelegenen Heimatstadt unerreichbar war. Jetzt war sie bei einer alten Freundin ihrer verstorbenen Mutter gastlich aufgenommen worden. Es war die Frau des Amtmanns Werl in Waldheim, welches eine Stunde von der Hauptstadt in einem Gebirgsthale lag. So lange sollte sie dort verweilen, bis sie eine passende Wohnung und einige Schülerinnen

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T13:10:50Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T13:10:50Z)

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Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




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Zitationshilfe: Kinkel, Johanna: Musikalische Orthodoxie. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 17. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 99–171. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kinkel_orthodoxie_1910/8>, abgerufen am 23.11.2024.