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Kinkel, Johanna: Musikalische Orthodoxie. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 17. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 99–171. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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seins hatte längst die steifen Formen norddeutschen geselligen Verkehrs aufgehoben; ihr Verhältniß glich dem zweier Freunde gleichen Geschlechts, die einander unverhohlen Alles mittheilen, auch die Herzensangelegenheiten.

Sohling hatte sich oft über ihr schnelles Abbrechen gewundert, wenn er sie an das Selvar'sche Haus erinnerte. Ihre Bewegung bei seinem ersten Besuche und ihre scheue Weigerung, seinem Briefe an Selvar einen von ihrer Hand beizufügen, fielen ihm wieder ein. Später hatte ihm wohl geahnt, es sei ein Herzenskummer im Spiele, doch da er auf den wahren Gegenstand nie verfiel, sondern nach Art der jungen Männer (auch der nicht besonders eiteln) glaubte: nur zwischen Zwanzig und Dreißig könne man einem Mädchen gefährlich werden, so sprach er immer ganz unbefangen von dem "alten Grafen" und erzählte Anekdoten von ihm, die ihm ganz harmlos dünkten, aber seiner Zuhörerin die vernarbte Herzenswunde aufrissen.

Bei einer solchen Gelegenheit, als Ida ihre Thränen nicht mehr verbergen konnte, hatte sie den jungen Mann zum Vertrauten gemacht. Wie ein tobender Flammenberg eröffnete sich ihr Herz, und der Strom leidenschaftlicher Schmerzen breitete sich gleich der Lava über das stille Gartenbild aus, das sich Sohling von ihrem Leben und Treiben gemalt hatte.

Er verstand diese Liebe zu einem kühlen, halbergrauten Manne nicht, doch interessirte ihn die Macht und Wahrhaftigkeit ihrer Aeußerung, da ihm dergleichen

seins hatte längst die steifen Formen norddeutschen geselligen Verkehrs aufgehoben; ihr Verhältniß glich dem zweier Freunde gleichen Geschlechts, die einander unverhohlen Alles mittheilen, auch die Herzensangelegenheiten.

Sohling hatte sich oft über ihr schnelles Abbrechen gewundert, wenn er sie an das Selvar'sche Haus erinnerte. Ihre Bewegung bei seinem ersten Besuche und ihre scheue Weigerung, seinem Briefe an Selvar einen von ihrer Hand beizufügen, fielen ihm wieder ein. Später hatte ihm wohl geahnt, es sei ein Herzenskummer im Spiele, doch da er auf den wahren Gegenstand nie verfiel, sondern nach Art der jungen Männer (auch der nicht besonders eiteln) glaubte: nur zwischen Zwanzig und Dreißig könne man einem Mädchen gefährlich werden, so sprach er immer ganz unbefangen von dem „alten Grafen“ und erzählte Anekdoten von ihm, die ihm ganz harmlos dünkten, aber seiner Zuhörerin die vernarbte Herzenswunde aufrissen.

Bei einer solchen Gelegenheit, als Ida ihre Thränen nicht mehr verbergen konnte, hatte sie den jungen Mann zum Vertrauten gemacht. Wie ein tobender Flammenberg eröffnete sich ihr Herz, und der Strom leidenschaftlicher Schmerzen breitete sich gleich der Lava über das stille Gartenbild aus, das sich Sohling von ihrem Leben und Treiben gemalt hatte.

Er verstand diese Liebe zu einem kühlen, halbergrauten Manne nicht, doch interessirte ihn die Macht und Wahrhaftigkeit ihrer Aeußerung, da ihm dergleichen

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[0063] seins hatte längst die steifen Formen norddeutschen geselligen Verkehrs aufgehoben; ihr Verhältniß glich dem zweier Freunde gleichen Geschlechts, die einander unverhohlen Alles mittheilen, auch die Herzensangelegenheiten. Sohling hatte sich oft über ihr schnelles Abbrechen gewundert, wenn er sie an das Selvar'sche Haus erinnerte. Ihre Bewegung bei seinem ersten Besuche und ihre scheue Weigerung, seinem Briefe an Selvar einen von ihrer Hand beizufügen, fielen ihm wieder ein. Später hatte ihm wohl geahnt, es sei ein Herzenskummer im Spiele, doch da er auf den wahren Gegenstand nie verfiel, sondern nach Art der jungen Männer (auch der nicht besonders eiteln) glaubte: nur zwischen Zwanzig und Dreißig könne man einem Mädchen gefährlich werden, so sprach er immer ganz unbefangen von dem „alten Grafen“ und erzählte Anekdoten von ihm, die ihm ganz harmlos dünkten, aber seiner Zuhörerin die vernarbte Herzenswunde aufrissen. Bei einer solchen Gelegenheit, als Ida ihre Thränen nicht mehr verbergen konnte, hatte sie den jungen Mann zum Vertrauten gemacht. Wie ein tobender Flammenberg eröffnete sich ihr Herz, und der Strom leidenschaftlicher Schmerzen breitete sich gleich der Lava über das stille Gartenbild aus, das sich Sohling von ihrem Leben und Treiben gemalt hatte. Er verstand diese Liebe zu einem kühlen, halbergrauten Manne nicht, doch interessirte ihn die Macht und Wahrhaftigkeit ihrer Aeußerung, da ihm dergleichen

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T13:10:50Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T13:10:50Z)

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Zitationshilfe: Kinkel, Johanna: Musikalische Orthodoxie. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 17. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 99–171. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kinkel_orthodoxie_1910/63>, abgerufen am 23.11.2024.