Kinkel, Johanna: Musikalische Orthodoxie. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 17. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 99–171. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.sparen, und da habe ich mich bei meiner Wäscherin eingemiethet. Sohling besann sich einen Augenblick; dann sagte er: Wollen Sie mir Ihr Vertrauen schenken, so will ich für Sie einen passenderen Aufenthalt und eine gemäße Thätigkeit ausmitteln. Ida erwiderte nichts. Sie schämte sich, zu bekennen, daß sie heute ihr letztes Goldstück gewechselt hatte. Jetzt blieb ihr nur noch die Aussicht, ihren getreuen Erard zu verpfänden, und dann der Trost, den die Jugend nach einer verlorenen Liebe so leicht und naturgemäß findet, der Trost, daß der Tod der beste Ausweg ist, wo man keinen blumenreichen Pfad vor sich sieht. Doch hat auch darin die Natur so ewig weise vorgebaut, daß gerade die Noth es ist, die so eisern den Menschen an das liebe verachtete Dasein fesselt. Sohling drang nicht weiter in den Sonderling, der ihm mehr ein neugieriges Interesse, als Wohlgefallen erweckte. Er bat Ida um die Erlaubniß, wieder zu kommen, sobald er einen fertigen annehmbaren Vorschlag hinsichtlich ihres Unterkommens hätte. Zu einer ihm befreundeten Malerin, die durch den Tod ihrer Schwester eben vereinsamt geworden, begab sich alsbald Sohling mit der Aufforderung, daß sie die junge Tonkünstlerin in ihren Schutz nehmen möge. Diese war bereitwillig und suchte zuvorkommend die Fremde auf. Isa's angeborne Scheu, Wohlthaten sparen, und da habe ich mich bei meiner Wäscherin eingemiethet. Sohling besann sich einen Augenblick; dann sagte er: Wollen Sie mir Ihr Vertrauen schenken, so will ich für Sie einen passenderen Aufenthalt und eine gemäße Thätigkeit ausmitteln. Ida erwiderte nichts. Sie schämte sich, zu bekennen, daß sie heute ihr letztes Goldstück gewechselt hatte. Jetzt blieb ihr nur noch die Aussicht, ihren getreuen Erard zu verpfänden, und dann der Trost, den die Jugend nach einer verlorenen Liebe so leicht und naturgemäß findet, der Trost, daß der Tod der beste Ausweg ist, wo man keinen blumenreichen Pfad vor sich sieht. Doch hat auch darin die Natur so ewig weise vorgebaut, daß gerade die Noth es ist, die so eisern den Menschen an das liebe verachtete Dasein fesselt. Sohling drang nicht weiter in den Sonderling, der ihm mehr ein neugieriges Interesse, als Wohlgefallen erweckte. Er bat Ida um die Erlaubniß, wieder zu kommen, sobald er einen fertigen annehmbaren Vorschlag hinsichtlich ihres Unterkommens hätte. Zu einer ihm befreundeten Malerin, die durch den Tod ihrer Schwester eben vereinsamt geworden, begab sich alsbald Sohling mit der Aufforderung, daß sie die junge Tonkünstlerin in ihren Schutz nehmen möge. Diese war bereitwillig und suchte zuvorkommend die Fremde auf. Isa's angeborne Scheu, Wohlthaten <TEI> <text> <body> <div n="2"> <p><pb facs="#f0053"/> sparen, und da habe ich mich bei meiner Wäscherin eingemiethet.</p><lb/> <p>Sohling besann sich einen Augenblick; dann sagte er: Wollen Sie mir Ihr Vertrauen schenken, so will ich für Sie einen passenderen Aufenthalt und eine gemäße Thätigkeit ausmitteln.</p><lb/> <p>Ida erwiderte nichts. Sie schämte sich, zu bekennen, daß sie heute ihr letztes Goldstück gewechselt hatte. Jetzt blieb ihr nur noch die Aussicht, ihren getreuen Erard zu verpfänden, und dann der Trost, den die Jugend nach einer verlorenen Liebe so leicht und naturgemäß findet, der Trost, daß der Tod der beste Ausweg ist, wo man keinen blumenreichen Pfad vor sich sieht. Doch hat auch darin die Natur so ewig weise vorgebaut, daß gerade die Noth es ist, die so eisern den Menschen an das liebe verachtete Dasein fesselt.</p><lb/> <p>Sohling drang nicht weiter in den Sonderling, der ihm mehr ein neugieriges Interesse, als Wohlgefallen erweckte. Er bat Ida um die Erlaubniß, wieder zu kommen, sobald er einen fertigen annehmbaren Vorschlag hinsichtlich ihres Unterkommens hätte.</p><lb/> <p>Zu einer ihm befreundeten Malerin, die durch den Tod ihrer Schwester eben vereinsamt geworden, begab sich alsbald Sohling mit der Aufforderung, daß sie die junge Tonkünstlerin in ihren Schutz nehmen möge. Diese war bereitwillig und suchte zuvorkommend die Fremde auf. Isa's angeborne Scheu, Wohlthaten<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0053]
sparen, und da habe ich mich bei meiner Wäscherin eingemiethet.
Sohling besann sich einen Augenblick; dann sagte er: Wollen Sie mir Ihr Vertrauen schenken, so will ich für Sie einen passenderen Aufenthalt und eine gemäße Thätigkeit ausmitteln.
Ida erwiderte nichts. Sie schämte sich, zu bekennen, daß sie heute ihr letztes Goldstück gewechselt hatte. Jetzt blieb ihr nur noch die Aussicht, ihren getreuen Erard zu verpfänden, und dann der Trost, den die Jugend nach einer verlorenen Liebe so leicht und naturgemäß findet, der Trost, daß der Tod der beste Ausweg ist, wo man keinen blumenreichen Pfad vor sich sieht. Doch hat auch darin die Natur so ewig weise vorgebaut, daß gerade die Noth es ist, die so eisern den Menschen an das liebe verachtete Dasein fesselt.
Sohling drang nicht weiter in den Sonderling, der ihm mehr ein neugieriges Interesse, als Wohlgefallen erweckte. Er bat Ida um die Erlaubniß, wieder zu kommen, sobald er einen fertigen annehmbaren Vorschlag hinsichtlich ihres Unterkommens hätte.
Zu einer ihm befreundeten Malerin, die durch den Tod ihrer Schwester eben vereinsamt geworden, begab sich alsbald Sohling mit der Aufforderung, daß sie die junge Tonkünstlerin in ihren Schutz nehmen möge. Diese war bereitwillig und suchte zuvorkommend die Fremde auf. Isa's angeborne Scheu, Wohlthaten
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Zitationshilfe: | Kinkel, Johanna: Musikalische Orthodoxie. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 17. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 99–171. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kinkel_orthodoxie_1910/53>, abgerufen am 27.07.2024. |