Kinkel, Gottfried: Margret. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 4. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 199–262. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Sie empfing von ihm ein schwarzes Fläschchen, welches sie unter ihr Busentuch steckte, und er empfahl ihr noch, die Tropfen nicht dem Licht auszusetzen, weil das ihre Kraft schwäche. Es schlug zu ihrem Schrecken schon Ein Uhr, als sie, auf die Axt gestützt, von der großen Landstraße wieder in den schmalen Waldpfad einbog. Die Wärme und Kraft, welche nach der kurzen Ruhe jetzt ihre Glieder durchdrang, gab ihr eine wunderbare Freudigkeit, und die Anstrengung des Körpers milderte ihren Seelenschmerz. Die Laterne war erloschen, aber sie konnte ihrer jetzt entbehren, denn das letzte Mondviertel ging auf und warf sein Helles Licht auf ihren Pfad. Noch war es bitter kalt, aber der Nordwind hatte sich gelegt, der Himmel wurde wolkenfrei, und die glitzernden Sterne schauten tröstlich herab. Mit der Einsamkeit der Nacht nun schon vertraut, dachte sie an Gefahren nicht, und erst als sie die Hochebene erstieg, fiel ihr plötzlich wieder ein, daß sie die furchtbare Stelle der Wolfsspur noch zu überschreiten habe. Sie kam jetzt an der Oeffnung einer Thalschlucht vorbei, die nach ihrem Heimathdorf sich öffnete; plötzlich vernahm sie hier, obwohl von Schnee und Wald gedämpft, doch deutlich genug aus dem fernen Grunde herauf das wilde Gebell aller Torfhunde; es klang heftiger und wüthiger als das Geheul, das diesen Thieren sonst in Winternächten die Kälte auspreßt. Sie ahnte nichts Gutes; mit stürmendem Fuß, mit Sie empfing von ihm ein schwarzes Fläschchen, welches sie unter ihr Busentuch steckte, und er empfahl ihr noch, die Tropfen nicht dem Licht auszusetzen, weil das ihre Kraft schwäche. Es schlug zu ihrem Schrecken schon Ein Uhr, als sie, auf die Axt gestützt, von der großen Landstraße wieder in den schmalen Waldpfad einbog. Die Wärme und Kraft, welche nach der kurzen Ruhe jetzt ihre Glieder durchdrang, gab ihr eine wunderbare Freudigkeit, und die Anstrengung des Körpers milderte ihren Seelenschmerz. Die Laterne war erloschen, aber sie konnte ihrer jetzt entbehren, denn das letzte Mondviertel ging auf und warf sein Helles Licht auf ihren Pfad. Noch war es bitter kalt, aber der Nordwind hatte sich gelegt, der Himmel wurde wolkenfrei, und die glitzernden Sterne schauten tröstlich herab. Mit der Einsamkeit der Nacht nun schon vertraut, dachte sie an Gefahren nicht, und erst als sie die Hochebene erstieg, fiel ihr plötzlich wieder ein, daß sie die furchtbare Stelle der Wolfsspur noch zu überschreiten habe. Sie kam jetzt an der Oeffnung einer Thalschlucht vorbei, die nach ihrem Heimathdorf sich öffnete; plötzlich vernahm sie hier, obwohl von Schnee und Wald gedämpft, doch deutlich genug aus dem fernen Grunde herauf das wilde Gebell aller Torfhunde; es klang heftiger und wüthiger als das Geheul, das diesen Thieren sonst in Winternächten die Kälte auspreßt. Sie ahnte nichts Gutes; mit stürmendem Fuß, mit <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0058"/> Sie empfing von ihm ein schwarzes Fläschchen, welches sie unter ihr Busentuch steckte, und er empfahl ihr noch, die Tropfen nicht dem Licht auszusetzen, weil das ihre Kraft schwäche. Es schlug zu ihrem Schrecken schon Ein Uhr, als sie, auf die Axt gestützt, von der großen Landstraße wieder in den schmalen Waldpfad einbog.</p><lb/> <p>Die Wärme und Kraft, welche nach der kurzen Ruhe jetzt ihre Glieder durchdrang, gab ihr eine wunderbare Freudigkeit, und die Anstrengung des Körpers milderte ihren Seelenschmerz. Die Laterne war erloschen, aber sie konnte ihrer jetzt entbehren, denn das letzte Mondviertel ging auf und warf sein Helles Licht auf ihren Pfad. Noch war es bitter kalt, aber der Nordwind hatte sich gelegt, der Himmel wurde wolkenfrei, und die glitzernden Sterne schauten tröstlich herab. Mit der Einsamkeit der Nacht nun schon vertraut, dachte sie an Gefahren nicht, und erst als sie die Hochebene erstieg, fiel ihr plötzlich wieder ein, daß sie die furchtbare Stelle der Wolfsspur noch zu überschreiten habe.</p><lb/> <p>Sie kam jetzt an der Oeffnung einer Thalschlucht vorbei, die nach ihrem Heimathdorf sich öffnete; plötzlich vernahm sie hier, obwohl von Schnee und Wald gedämpft, doch deutlich genug aus dem fernen Grunde herauf das wilde Gebell aller Torfhunde; es klang heftiger und wüthiger als das Geheul, das diesen Thieren sonst in Winternächten die Kälte auspreßt. Sie ahnte nichts Gutes; mit stürmendem Fuß, mit<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0058]
Sie empfing von ihm ein schwarzes Fläschchen, welches sie unter ihr Busentuch steckte, und er empfahl ihr noch, die Tropfen nicht dem Licht auszusetzen, weil das ihre Kraft schwäche. Es schlug zu ihrem Schrecken schon Ein Uhr, als sie, auf die Axt gestützt, von der großen Landstraße wieder in den schmalen Waldpfad einbog.
Die Wärme und Kraft, welche nach der kurzen Ruhe jetzt ihre Glieder durchdrang, gab ihr eine wunderbare Freudigkeit, und die Anstrengung des Körpers milderte ihren Seelenschmerz. Die Laterne war erloschen, aber sie konnte ihrer jetzt entbehren, denn das letzte Mondviertel ging auf und warf sein Helles Licht auf ihren Pfad. Noch war es bitter kalt, aber der Nordwind hatte sich gelegt, der Himmel wurde wolkenfrei, und die glitzernden Sterne schauten tröstlich herab. Mit der Einsamkeit der Nacht nun schon vertraut, dachte sie an Gefahren nicht, und erst als sie die Hochebene erstieg, fiel ihr plötzlich wieder ein, daß sie die furchtbare Stelle der Wolfsspur noch zu überschreiten habe.
Sie kam jetzt an der Oeffnung einer Thalschlucht vorbei, die nach ihrem Heimathdorf sich öffnete; plötzlich vernahm sie hier, obwohl von Schnee und Wald gedämpft, doch deutlich genug aus dem fernen Grunde herauf das wilde Gebell aller Torfhunde; es klang heftiger und wüthiger als das Geheul, das diesen Thieren sonst in Winternächten die Kälte auspreßt. Sie ahnte nichts Gutes; mit stürmendem Fuß, mit
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription.
(2017-03-15T12:40:10Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2017-03-15T12:40:10Z)
Weitere Informationen:Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |