Kinkel, Gottfried: Margret. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 4. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 199–262. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.von ihm mitgebracht. Damit beruhigte sie ihr Gemüth; nachdem sie die Welt hinter sich gelassen, erwachte statt der Trauer die süßeste Hoffnung der Mutterfreude, und mit klarem Blicke sah sie wieder ihr Geschick an, stark in Muth und Vertrauen. So kam ihre Stunde. Die Wehmutter trug das Kind, ehe sie die Fensterläden schloß, noch einmal ans Licht und sagte tröstlich zur Mutter: Freut Euch, Margret, Ihr habt einen hübschen Jungen, und blaue Augen kriegt er wie sein Vater, der Nikola kann ihn Euch nicht ableugnen. Dann aber winkte sie die alte Müllerin hinter dem Rücken der Mutter zu sich und zeigte im Antlitz des Kindes verstohlen auf eine kleine blaue Ader, die dicht unter der Stirn herlief. Aengstlich neigte die Tante ihr Gesicht über das Köpfchen des Neugeborne, und als ihre Blicke dann der Hebamme begegneten, verriethen die Augen ein stilles bekümmertes Einverständniß; die Hebamme nickte ein Ja, die Tante schüttelte traurig das Haupt; dann legten sie das Kind in den Arm der Mutter. Am folgenden Sonntag wurde es auf den Namen Nikolaus getauft. Margret aber schrieb voller Mutterseligkeit, mit überströmendem Herzen und mit noch zitternden Händen dem Vater einen Brief, der ihm den glücklichen Ausgang meldete, und nun erst, da sie das Gefühl einer unerhörten Freude mit ihm auszutauschen hatte, sah sie mit brennender Sehnsucht einer Antwort von ihm entgegen. Eines Abends brachte der Mühlknecht, der von von ihm mitgebracht. Damit beruhigte sie ihr Gemüth; nachdem sie die Welt hinter sich gelassen, erwachte statt der Trauer die süßeste Hoffnung der Mutterfreude, und mit klarem Blicke sah sie wieder ihr Geschick an, stark in Muth und Vertrauen. So kam ihre Stunde. Die Wehmutter trug das Kind, ehe sie die Fensterläden schloß, noch einmal ans Licht und sagte tröstlich zur Mutter: Freut Euch, Margret, Ihr habt einen hübschen Jungen, und blaue Augen kriegt er wie sein Vater, der Nikola kann ihn Euch nicht ableugnen. Dann aber winkte sie die alte Müllerin hinter dem Rücken der Mutter zu sich und zeigte im Antlitz des Kindes verstohlen auf eine kleine blaue Ader, die dicht unter der Stirn herlief. Aengstlich neigte die Tante ihr Gesicht über das Köpfchen des Neugeborne, und als ihre Blicke dann der Hebamme begegneten, verriethen die Augen ein stilles bekümmertes Einverständniß; die Hebamme nickte ein Ja, die Tante schüttelte traurig das Haupt; dann legten sie das Kind in den Arm der Mutter. Am folgenden Sonntag wurde es auf den Namen Nikolaus getauft. Margret aber schrieb voller Mutterseligkeit, mit überströmendem Herzen und mit noch zitternden Händen dem Vater einen Brief, der ihm den glücklichen Ausgang meldete, und nun erst, da sie das Gefühl einer unerhörten Freude mit ihm auszutauschen hatte, sah sie mit brennender Sehnsucht einer Antwort von ihm entgegen. Eines Abends brachte der Mühlknecht, der von <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0039"/> von ihm mitgebracht. Damit beruhigte sie ihr Gemüth; nachdem sie die Welt hinter sich gelassen, erwachte statt der Trauer die süßeste Hoffnung der Mutterfreude, und mit klarem Blicke sah sie wieder ihr Geschick an, stark in Muth und Vertrauen.</p><lb/> <p>So kam ihre Stunde. Die Wehmutter trug das Kind, ehe sie die Fensterläden schloß, noch einmal ans Licht und sagte tröstlich zur Mutter: Freut Euch, Margret, Ihr habt einen hübschen Jungen, und blaue Augen kriegt er wie sein Vater, der Nikola kann ihn Euch nicht ableugnen. Dann aber winkte sie die alte Müllerin hinter dem Rücken der Mutter zu sich und zeigte im Antlitz des Kindes verstohlen auf eine kleine blaue Ader, die dicht unter der Stirn herlief. Aengstlich neigte die Tante ihr Gesicht über das Köpfchen des Neugeborne, und als ihre Blicke dann der Hebamme begegneten, verriethen die Augen ein stilles bekümmertes Einverständniß; die Hebamme nickte ein Ja, die Tante schüttelte traurig das Haupt; dann legten sie das Kind in den Arm der Mutter. Am folgenden Sonntag wurde es auf den Namen Nikolaus getauft. Margret aber schrieb voller Mutterseligkeit, mit überströmendem Herzen und mit noch zitternden Händen dem Vater einen Brief, der ihm den glücklichen Ausgang meldete, und nun erst, da sie das Gefühl einer unerhörten Freude mit ihm auszutauschen hatte, sah sie mit brennender Sehnsucht einer Antwort von ihm entgegen.</p><lb/> <p>Eines Abends brachte der Mühlknecht, der von<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0039]
von ihm mitgebracht. Damit beruhigte sie ihr Gemüth; nachdem sie die Welt hinter sich gelassen, erwachte statt der Trauer die süßeste Hoffnung der Mutterfreude, und mit klarem Blicke sah sie wieder ihr Geschick an, stark in Muth und Vertrauen.
So kam ihre Stunde. Die Wehmutter trug das Kind, ehe sie die Fensterläden schloß, noch einmal ans Licht und sagte tröstlich zur Mutter: Freut Euch, Margret, Ihr habt einen hübschen Jungen, und blaue Augen kriegt er wie sein Vater, der Nikola kann ihn Euch nicht ableugnen. Dann aber winkte sie die alte Müllerin hinter dem Rücken der Mutter zu sich und zeigte im Antlitz des Kindes verstohlen auf eine kleine blaue Ader, die dicht unter der Stirn herlief. Aengstlich neigte die Tante ihr Gesicht über das Köpfchen des Neugeborne, und als ihre Blicke dann der Hebamme begegneten, verriethen die Augen ein stilles bekümmertes Einverständniß; die Hebamme nickte ein Ja, die Tante schüttelte traurig das Haupt; dann legten sie das Kind in den Arm der Mutter. Am folgenden Sonntag wurde es auf den Namen Nikolaus getauft. Margret aber schrieb voller Mutterseligkeit, mit überströmendem Herzen und mit noch zitternden Händen dem Vater einen Brief, der ihm den glücklichen Ausgang meldete, und nun erst, da sie das Gefühl einer unerhörten Freude mit ihm auszutauschen hatte, sah sie mit brennender Sehnsucht einer Antwort von ihm entgegen.
Eines Abends brachte der Mühlknecht, der von
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