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Kinkel, Gottfried: Margret. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 4. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 199–262. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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sie wohl am Arme ihrer Burschen auf den Jahrmärkten herumziehen, das Körbchen am Arme, mit klugen braunen Augen, voll von Selbstgefühl auf ihre Jugendfülle und auf den Respekt, den ihnen der Reichthum ihres Vaters unter ihren Umgebungen erwirbt.

Solch ein Mädchen wurde Margret, nicht eben fein oder besonders hübsch, aber kräftig an Leib und Seele, klar und frisch wie ein blühender Schlehdorn. Weil sie ernster und männlicher war, als die meisten andern Dirnen, hielten die Bursche des Dorfes sie für stolz, und vielleicht war sie das auch. Aber fremde Manieren hatte sie nicht an sich, und auf dem Tanzboden wußte sie zwischen reichen und armen Burschen keinen Unterschied.

Mit ihr war als Spielgenoß und später auch als Mitschüler in jenen Unterrichtsstunden bei dem neuen Lehrer der einzige Sohn des Schultheißen aufgewachsen, nicht allein der reichste Erbe im Dorfe, sondern auch der schmuckste und tüchtigste Junge von allen, strebsam, verständig und kühn. Trefflich führte Nikola seine Büchse, auf die Jagd nahmen ihn auch die benachbarten herrschaftlichen Jäger gerne mit, und wer mit dem alten, gebrechlichen Schultheißen ein Geschäft hatte, verhandelte lieber mit dem raschen Sohne. Daß er hübsch war, hätte Niemand abstreiten dürfen, und er selbst wußte es am beßten, auch wenn's ihm die Mädchen nicht zu verstehen gegeben hätten. Gegen eine starke Neigung zur Eitelkeit hatte schon bei dem Knaben der

sie wohl am Arme ihrer Burschen auf den Jahrmärkten herumziehen, das Körbchen am Arme, mit klugen braunen Augen, voll von Selbstgefühl auf ihre Jugendfülle und auf den Respekt, den ihnen der Reichthum ihres Vaters unter ihren Umgebungen erwirbt.

Solch ein Mädchen wurde Margret, nicht eben fein oder besonders hübsch, aber kräftig an Leib und Seele, klar und frisch wie ein blühender Schlehdorn. Weil sie ernster und männlicher war, als die meisten andern Dirnen, hielten die Bursche des Dorfes sie für stolz, und vielleicht war sie das auch. Aber fremde Manieren hatte sie nicht an sich, und auf dem Tanzboden wußte sie zwischen reichen und armen Burschen keinen Unterschied.

Mit ihr war als Spielgenoß und später auch als Mitschüler in jenen Unterrichtsstunden bei dem neuen Lehrer der einzige Sohn des Schultheißen aufgewachsen, nicht allein der reichste Erbe im Dorfe, sondern auch der schmuckste und tüchtigste Junge von allen, strebsam, verständig und kühn. Trefflich führte Nikola seine Büchse, auf die Jagd nahmen ihn auch die benachbarten herrschaftlichen Jäger gerne mit, und wer mit dem alten, gebrechlichen Schultheißen ein Geschäft hatte, verhandelte lieber mit dem raschen Sohne. Daß er hübsch war, hätte Niemand abstreiten dürfen, und er selbst wußte es am beßten, auch wenn's ihm die Mädchen nicht zu verstehen gegeben hätten. Gegen eine starke Neigung zur Eitelkeit hatte schon bei dem Knaben der

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[0020] sie wohl am Arme ihrer Burschen auf den Jahrmärkten herumziehen, das Körbchen am Arme, mit klugen braunen Augen, voll von Selbstgefühl auf ihre Jugendfülle und auf den Respekt, den ihnen der Reichthum ihres Vaters unter ihren Umgebungen erwirbt. Solch ein Mädchen wurde Margret, nicht eben fein oder besonders hübsch, aber kräftig an Leib und Seele, klar und frisch wie ein blühender Schlehdorn. Weil sie ernster und männlicher war, als die meisten andern Dirnen, hielten die Bursche des Dorfes sie für stolz, und vielleicht war sie das auch. Aber fremde Manieren hatte sie nicht an sich, und auf dem Tanzboden wußte sie zwischen reichen und armen Burschen keinen Unterschied. Mit ihr war als Spielgenoß und später auch als Mitschüler in jenen Unterrichtsstunden bei dem neuen Lehrer der einzige Sohn des Schultheißen aufgewachsen, nicht allein der reichste Erbe im Dorfe, sondern auch der schmuckste und tüchtigste Junge von allen, strebsam, verständig und kühn. Trefflich führte Nikola seine Büchse, auf die Jagd nahmen ihn auch die benachbarten herrschaftlichen Jäger gerne mit, und wer mit dem alten, gebrechlichen Schultheißen ein Geschäft hatte, verhandelte lieber mit dem raschen Sohne. Daß er hübsch war, hätte Niemand abstreiten dürfen, und er selbst wußte es am beßten, auch wenn's ihm die Mädchen nicht zu verstehen gegeben hätten. Gegen eine starke Neigung zur Eitelkeit hatte schon bei dem Knaben der

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T12:40:10Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T12:40:10Z)

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Zitationshilfe: Kinkel, Gottfried: Margret. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 4. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 199–262. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kinkel_margret_1910/20>, abgerufen am 22.12.2024.