Kinkel, Gottfried: Margret. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 4. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 199–262. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.einer mäßigen Geldsumme nach Michigan, die beiden nächsten in der Reihe folgten zwei Jahre später mit der ältern Schwester und einem bedeutenden Nachschuß von Geld. Hiefür mußte er einen ansehnlichen Theil seiner Ländereien veräußern, aber er ließ sich auch von den Abziehenden, deren Schicksal er so gesichert hatte, einen schriftlichen Revers ausstellen, daß sie nach seinem Tode keinen weitern Anspruch ans Erbgut machen wollten. Wirklich ging es den jungen Leuten in Amerika vortrefflich, da sie Fleiß, praktischen Blick und ein Betriebskapital vom Vater mitgebracht hatten. Die Söhne konnten in jedem Briefe Besseres von ihrem Haus- und Viehstand melden, das Mädchen, durch Schönheit und eine in Amerika seltene Bildung ausgezeichnet, hatte einen der reichsten Pflanzer aus dem Süden geheirathet und gebot über achtzig Sklaven und Sklavinnen. Und so gelang es ihm auch mit den zu Hause gebliebenen Kindern trefflich. Zwei Söhne verheiratheten sich in reiche Häuser, dem letzten, jüngsten wurde das väterliche Haus und Gut bestimmt. So blieb nur noch die kleine Margret übrig; sie war noch ein Kind, als nun ihre Mutter nach kurzem Krankenlager starb. Hier fühlte nun der Vater, daß sein Wissen nicht ausreiche für alles Feinere, was Frauen lernen können und lernen sollten. Ihm selbst war seine Jugend vernachlässigt worden; der Mann, der mit seinem Geiste die amerikanischen Verhältnisse überblickte und seine ganze Umgebung beherrschte, hatte als Kind nicht einer mäßigen Geldsumme nach Michigan, die beiden nächsten in der Reihe folgten zwei Jahre später mit der ältern Schwester und einem bedeutenden Nachschuß von Geld. Hiefür mußte er einen ansehnlichen Theil seiner Ländereien veräußern, aber er ließ sich auch von den Abziehenden, deren Schicksal er so gesichert hatte, einen schriftlichen Revers ausstellen, daß sie nach seinem Tode keinen weitern Anspruch ans Erbgut machen wollten. Wirklich ging es den jungen Leuten in Amerika vortrefflich, da sie Fleiß, praktischen Blick und ein Betriebskapital vom Vater mitgebracht hatten. Die Söhne konnten in jedem Briefe Besseres von ihrem Haus- und Viehstand melden, das Mädchen, durch Schönheit und eine in Amerika seltene Bildung ausgezeichnet, hatte einen der reichsten Pflanzer aus dem Süden geheirathet und gebot über achtzig Sklaven und Sklavinnen. Und so gelang es ihm auch mit den zu Hause gebliebenen Kindern trefflich. Zwei Söhne verheiratheten sich in reiche Häuser, dem letzten, jüngsten wurde das väterliche Haus und Gut bestimmt. So blieb nur noch die kleine Margret übrig; sie war noch ein Kind, als nun ihre Mutter nach kurzem Krankenlager starb. Hier fühlte nun der Vater, daß sein Wissen nicht ausreiche für alles Feinere, was Frauen lernen können und lernen sollten. Ihm selbst war seine Jugend vernachlässigt worden; der Mann, der mit seinem Geiste die amerikanischen Verhältnisse überblickte und seine ganze Umgebung beherrschte, hatte als Kind nicht <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0014"/> einer mäßigen Geldsumme nach Michigan, die beiden nächsten in der Reihe folgten zwei Jahre später mit der ältern Schwester und einem bedeutenden Nachschuß von Geld. Hiefür mußte er einen ansehnlichen Theil seiner Ländereien veräußern, aber er ließ sich auch von den Abziehenden, deren Schicksal er so gesichert hatte, einen schriftlichen Revers ausstellen, daß sie nach seinem Tode keinen weitern Anspruch ans Erbgut machen wollten. Wirklich ging es den jungen Leuten in Amerika vortrefflich, da sie Fleiß, praktischen Blick und ein Betriebskapital vom Vater mitgebracht hatten. Die Söhne konnten in jedem Briefe Besseres von ihrem Haus- und Viehstand melden, das Mädchen, durch Schönheit und eine in Amerika seltene Bildung ausgezeichnet, hatte einen der reichsten Pflanzer aus dem Süden geheirathet und gebot über achtzig Sklaven und Sklavinnen.</p><lb/> <p>Und so gelang es ihm auch mit den zu Hause gebliebenen Kindern trefflich. Zwei Söhne verheiratheten sich in reiche Häuser, dem letzten, jüngsten wurde das väterliche Haus und Gut bestimmt. So blieb nur noch die kleine Margret übrig; sie war noch ein Kind, als nun ihre Mutter nach kurzem Krankenlager starb.</p><lb/> <p>Hier fühlte nun der Vater, daß sein Wissen nicht ausreiche für alles Feinere, was Frauen lernen können und lernen sollten. Ihm selbst war seine Jugend vernachlässigt worden; der Mann, der mit seinem Geiste die amerikanischen Verhältnisse überblickte und seine ganze Umgebung beherrschte, hatte als Kind nicht<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0014]
einer mäßigen Geldsumme nach Michigan, die beiden nächsten in der Reihe folgten zwei Jahre später mit der ältern Schwester und einem bedeutenden Nachschuß von Geld. Hiefür mußte er einen ansehnlichen Theil seiner Ländereien veräußern, aber er ließ sich auch von den Abziehenden, deren Schicksal er so gesichert hatte, einen schriftlichen Revers ausstellen, daß sie nach seinem Tode keinen weitern Anspruch ans Erbgut machen wollten. Wirklich ging es den jungen Leuten in Amerika vortrefflich, da sie Fleiß, praktischen Blick und ein Betriebskapital vom Vater mitgebracht hatten. Die Söhne konnten in jedem Briefe Besseres von ihrem Haus- und Viehstand melden, das Mädchen, durch Schönheit und eine in Amerika seltene Bildung ausgezeichnet, hatte einen der reichsten Pflanzer aus dem Süden geheirathet und gebot über achtzig Sklaven und Sklavinnen.
Und so gelang es ihm auch mit den zu Hause gebliebenen Kindern trefflich. Zwei Söhne verheiratheten sich in reiche Häuser, dem letzten, jüngsten wurde das väterliche Haus und Gut bestimmt. So blieb nur noch die kleine Margret übrig; sie war noch ein Kind, als nun ihre Mutter nach kurzem Krankenlager starb.
Hier fühlte nun der Vater, daß sein Wissen nicht ausreiche für alles Feinere, was Frauen lernen können und lernen sollten. Ihm selbst war seine Jugend vernachlässigt worden; der Mann, der mit seinem Geiste die amerikanischen Verhältnisse überblickte und seine ganze Umgebung beherrschte, hatte als Kind nicht
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Zitationshilfe: | Kinkel, Gottfried: Margret. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 4. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 199–262. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kinkel_margret_1910/14>, abgerufen am 28.07.2024. |