Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

von Keyserling, Eduard: Beate und Mareile. Eine Schloßgeschichte. Berlin, [1909].

Bild:
<< vorherige Seite

Günther schwieg und sah sie an. "Sie haben sich verändert. Die frühere Mareile - wenn ich so denke ..."

"War die nicht gut?"

"Doch, doch! Aber solche Fräulein, die leben vor verschlossenen Türen ... jedenfalls ergreifen Sie mich jetzt mehr."

"Das ist doch gut?"

"Freilich, freilich! Aber jetzt geh' ich mich unter die kalte Dusche stellen," schloß Günther. "Reiten Sie nicht mehr?" fragte er im Fortgehen.

"Jetzt nicht," erwiderte Mareile.

"Singen Sie nicht?"

"Jetzt nicht."

"Ach so, ich verstehe. Sie wollen noch innere Komiteesitzung abhalten. Gut - gut!"

Am Abend saß Mareile im Gartensaal ein wenig abseits von den andern an der geöffneten Glastüre. Die Julinacht war schwarz und voll von dem süßen Dufte der Sommerblumen. Unter der Lampe las Seneide der Gesellschaft die Kreuzzeitung vor.

Hübsch, hübsch, dachte Mareile, aber als könnte nichts anderes, Besseres mehr kommen, so beruhigt. Sie erinnerte sich, wie sie schon als Kind zuweilen ein unwiderstehliches Sichempören gegen dieses abgeklärte, hübsche Herrschaftsleben empfunden hatte, das sie doch so liebte. Aber in solchen Stunden mußte sie nein sagen zu allen heiligen Regeln. Statt zur französischen Stunde zu kommen, war sie einmal in den Wald gelaufen, hatte im See gebadet. Unerhörte Dinge. Aber der verzweifelte Wagemut brannte so köstlich im Blute. Später kam dann die Stunde der Reue in Tante

Günther schwieg und sah sie an. „Sie haben sich verändert. Die frühere Mareile – wenn ich so denke …“

„War die nicht gut?“

„Doch, doch! Aber solche Fräulein, die leben vor verschlossenen Türen … jedenfalls ergreifen Sie mich jetzt mehr.“

„Das ist doch gut?“

„Freilich, freilich! Aber jetzt geh’ ich mich unter die kalte Dusche stellen,“ schloß Günther. „Reiten Sie nicht mehr?“ fragte er im Fortgehen.

„Jetzt nicht,“ erwiderte Mareile.

„Singen Sie nicht?“

„Jetzt nicht.“

„Ach so, ich verstehe. Sie wollen noch innere Komiteesitzung abhalten. Gut – gut!“

Am Abend saß Mareile im Gartensaal ein wenig abseits von den andern an der geöffneten Glastüre. Die Julinacht war schwarz und voll von dem süßen Dufte der Sommerblumen. Unter der Lampe las Seneïde der Gesellschaft die Kreuzzeitung vor.

Hübsch, hübsch, dachte Mareile, aber als könnte nichts anderes, Besseres mehr kommen, so beruhigt. Sie erinnerte sich, wie sie schon als Kind zuweilen ein unwiderstehliches Sichempören gegen dieses abgeklärte, hübsche Herrschaftsleben empfunden hatte, das sie doch so liebte. Aber in solchen Stunden mußte sie nein sagen zu allen heiligen Regeln. Statt zur französischen Stunde zu kommen, war sie einmal in den Wald gelaufen, hatte im See gebadet. Unerhörte Dinge. Aber der verzweifelte Wagemut brannte so köstlich im Blute. Später kam dann die Stunde der Reue in Tante

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0078" n="76"/>
        <p>Günther schwieg und sah sie an. &#x201E;Sie haben sich verändert. Die frühere Mareile &#x2013; wenn ich so denke &#x2026;&#x201C;</p>
        <p>&#x201E;War die nicht gut?&#x201C;</p>
        <p>&#x201E;Doch, doch! Aber solche Fräulein, die leben vor verschlossenen Türen &#x2026; jedenfalls ergreifen Sie mich jetzt mehr.&#x201C;</p>
        <p>&#x201E;Das ist doch gut?&#x201C;</p>
        <p>&#x201E;Freilich, freilich! Aber jetzt geh&#x2019; ich mich unter die kalte Dusche stellen,&#x201C; schloß Günther. &#x201E;Reiten Sie nicht mehr?&#x201C; fragte er im Fortgehen.</p>
        <p>&#x201E;Jetzt nicht,&#x201C; erwiderte Mareile.</p>
        <p>&#x201E;Singen Sie nicht?&#x201C;</p>
        <p>&#x201E;Jetzt nicht.&#x201C;</p>
        <p>&#x201E;Ach so, ich verstehe. Sie wollen noch innere Komiteesitzung abhalten. Gut &#x2013; gut!&#x201C;</p>
        <p>Am Abend saß Mareile im Gartensaal ein wenig abseits von den andern an der geöffneten Glastüre. Die Julinacht war schwarz und voll von dem süßen Dufte der Sommerblumen. Unter der Lampe las Seneïde der Gesellschaft die Kreuzzeitung vor.</p>
        <p>Hübsch, hübsch, dachte Mareile, aber als könnte nichts anderes, Besseres mehr kommen, so beruhigt. Sie erinnerte sich, wie sie schon als Kind zuweilen ein unwiderstehliches Sichempören gegen dieses abgeklärte, hübsche Herrschaftsleben empfunden hatte, das sie doch so liebte. Aber in solchen Stunden mußte sie nein sagen zu allen heiligen Regeln. Statt zur französischen Stunde zu kommen, war sie einmal in den Wald gelaufen, hatte im See gebadet. Unerhörte Dinge. Aber der verzweifelte Wagemut brannte so köstlich im Blute. Später kam dann die Stunde der Reue in Tante
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[76/0078] Günther schwieg und sah sie an. „Sie haben sich verändert. Die frühere Mareile – wenn ich so denke …“ „War die nicht gut?“ „Doch, doch! Aber solche Fräulein, die leben vor verschlossenen Türen … jedenfalls ergreifen Sie mich jetzt mehr.“ „Das ist doch gut?“ „Freilich, freilich! Aber jetzt geh’ ich mich unter die kalte Dusche stellen,“ schloß Günther. „Reiten Sie nicht mehr?“ fragte er im Fortgehen. „Jetzt nicht,“ erwiderte Mareile. „Singen Sie nicht?“ „Jetzt nicht.“ „Ach so, ich verstehe. Sie wollen noch innere Komiteesitzung abhalten. Gut – gut!“ Am Abend saß Mareile im Gartensaal ein wenig abseits von den andern an der geöffneten Glastüre. Die Julinacht war schwarz und voll von dem süßen Dufte der Sommerblumen. Unter der Lampe las Seneïde der Gesellschaft die Kreuzzeitung vor. Hübsch, hübsch, dachte Mareile, aber als könnte nichts anderes, Besseres mehr kommen, so beruhigt. Sie erinnerte sich, wie sie schon als Kind zuweilen ein unwiderstehliches Sichempören gegen dieses abgeklärte, hübsche Herrschaftsleben empfunden hatte, das sie doch so liebte. Aber in solchen Stunden mußte sie nein sagen zu allen heiligen Regeln. Statt zur französischen Stunde zu kommen, war sie einmal in den Wald gelaufen, hatte im See gebadet. Unerhörte Dinge. Aber der verzweifelte Wagemut brannte so köstlich im Blute. Später kam dann die Stunde der Reue in Tante

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Eduard von Keyserlings „Beate und Mareile“ erschi… [mehr]

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2012-10-26T10:30:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2012-10-26T10:30:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2012-10-26T10:30:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/keyserling_beatemareile_1903
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/keyserling_beatemareile_1903/78
Zitationshilfe: von Keyserling, Eduard: Beate und Mareile. Eine Schloßgeschichte. Berlin, [1909], S. 76. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keyserling_beatemareile_1903/78>, abgerufen am 15.05.2024.