Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

von Keyserling, Eduard: Beate und Mareile. Eine Schloßgeschichte. Berlin, [1909].

Bild:
<< vorherige Seite
Drittes Kapitel

Die alte Baronin von Losnitz saß in ihrem Voltairesessel und strickte einen blauen Kinderstrumpf. Schöne Haartrompeten, blank und weiß, rahmten das fette, weiße Gesicht ein mit den regelmäßigen Zügen. Seneide saß am Fenster und nähte. Ihre Züge waren scharf und gezogen, die Lippen fast weiß und die Augen lagen tief in den Höhlen und gaben dem Gesichte einen kummervollerregten Ausdruck. Sie legte ihren Fingerhut mit einem lauten "Klap" auf den Tisch, lehnte den Kopf zurück und schloß die Augen. "Beating," begann sie, "war heute wieder wie sonst. Gestern, da war etwas Fremdes in ihrem Gesichte - etwas - ich weiß nicht?"

Die Baronin schaute ihre Schwester über die Brille hinweg an: "Hör, Seneidchen, du machst die Dinge gern geheimnisvoll. Für ein junges Ehepaar ist das nichts. In deiner Milchkammer rührst du auch nicht in den Töpfen herum; du wartest doch ruhig, bis die Sahne sich absteht. Na - also!"

Seneide beugte sich still auf ihre Arbeit nieder.

Nun kamen Günther und Beate. Günther begann sofort die alten Damen zu bezaubern. Nichts im Leben war ihm ungemütlicher, als wenn er nicht gefiel. Bei der Toilette bemühte er sich, Peter zu gefallen, und auf der Reise dem Schaffner. "O Mama, wie blühend du aussiehst, hübsch und sommerlich. Und Tante - Ihr Harmonium habe ich heute früh schon im Bette gehört. Geradezu heilig hab' ich dabei geschlafen - auf Ehre. Gott, hier muß man ja gut sein."

Drittes Kapitel

Die alte Baronin von Losnitz saß in ihrem Voltairesessel und strickte einen blauen Kinderstrumpf. Schöne Haartrompeten, blank und weiß, rahmten das fette, weiße Gesicht ein mit den regelmäßigen Zügen. Seneïde saß am Fenster und nähte. Ihre Züge waren scharf und gezogen, die Lippen fast weiß und die Augen lagen tief in den Höhlen und gaben dem Gesichte einen kummervollerregten Ausdruck. Sie legte ihren Fingerhut mit einem lauten „Klap“ auf den Tisch, lehnte den Kopf zurück und schloß die Augen. „Beating,“ begann sie, „war heute wieder wie sonst. Gestern, da war etwas Fremdes in ihrem Gesichte – etwas – ich weiß nicht?“

Die Baronin schaute ihre Schwester über die Brille hinweg an: „Hör, Seneïdchen, du machst die Dinge gern geheimnisvoll. Für ein junges Ehepaar ist das nichts. In deiner Milchkammer rührst du auch nicht in den Töpfen herum; du wartest doch ruhig, bis die Sahne sich absteht. Na – also!“

Seneïde beugte sich still auf ihre Arbeit nieder.

Nun kamen Günther und Beate. Günther begann sofort die alten Damen zu bezaubern. Nichts im Leben war ihm ungemütlicher, als wenn er nicht gefiel. Bei der Toilette bemühte er sich, Peter zu gefallen, und auf der Reise dem Schaffner. „O Mama, wie blühend du aussiehst, hübsch und sommerlich. Und Tante – Ihr Harmonium habe ich heute früh schon im Bette gehört. Geradezu heilig hab’ ich dabei geschlafen – auf Ehre. Gott, hier muß man ja gut sein.“

<TEI>
  <text>
    <body>
      <pb facs="#f0017" n="15"/>
      <div n="1">
        <head>Drittes Kapitel</head><lb/>
        <p>Die alte Baronin von Losnitz saß in ihrem Voltairesessel und strickte einen blauen Kinderstrumpf. Schöne Haartrompeten, blank und weiß, rahmten das fette, weiße Gesicht ein mit den regelmäßigen Zügen. Seneïde saß am Fenster und nähte. Ihre Züge waren scharf und gezogen, die Lippen fast weiß und die Augen lagen tief in den Höhlen und gaben dem Gesichte einen kummervollerregten Ausdruck. Sie legte ihren Fingerhut mit einem lauten &#x201E;Klap&#x201C; auf den Tisch, lehnte den Kopf zurück und schloß die Augen. &#x201E;Beating,&#x201C; begann sie, &#x201E;war heute wieder wie sonst. Gestern, da war etwas Fremdes in ihrem Gesichte &#x2013; etwas &#x2013; ich weiß nicht?&#x201C;</p>
        <p>Die Baronin schaute ihre Schwester über die Brille hinweg an: &#x201E;Hör, Seneïdchen, du machst die Dinge gern geheimnisvoll. Für ein junges Ehepaar ist das nichts. In deiner Milchkammer rührst du auch nicht in den Töpfen herum; du wartest doch ruhig, bis die Sahne sich absteht. Na &#x2013; also!&#x201C;</p>
        <p>Seneïde beugte sich still auf ihre Arbeit nieder.</p>
        <p>Nun kamen Günther und Beate. Günther begann sofort die alten Damen zu bezaubern. Nichts im Leben war ihm ungemütlicher, als wenn er nicht gefiel. Bei der Toilette bemühte er sich, Peter zu gefallen, und auf der Reise dem Schaffner. &#x201E;O Mama, wie blühend du aussiehst, hübsch und sommerlich. Und Tante &#x2013; Ihr Harmonium habe ich heute früh schon im Bette gehört. Geradezu heilig hab&#x2019; ich dabei geschlafen &#x2013; auf Ehre. Gott, hier muß man ja gut sein.&#x201C;</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[15/0017] Drittes Kapitel Die alte Baronin von Losnitz saß in ihrem Voltairesessel und strickte einen blauen Kinderstrumpf. Schöne Haartrompeten, blank und weiß, rahmten das fette, weiße Gesicht ein mit den regelmäßigen Zügen. Seneïde saß am Fenster und nähte. Ihre Züge waren scharf und gezogen, die Lippen fast weiß und die Augen lagen tief in den Höhlen und gaben dem Gesichte einen kummervollerregten Ausdruck. Sie legte ihren Fingerhut mit einem lauten „Klap“ auf den Tisch, lehnte den Kopf zurück und schloß die Augen. „Beating,“ begann sie, „war heute wieder wie sonst. Gestern, da war etwas Fremdes in ihrem Gesichte – etwas – ich weiß nicht?“ Die Baronin schaute ihre Schwester über die Brille hinweg an: „Hör, Seneïdchen, du machst die Dinge gern geheimnisvoll. Für ein junges Ehepaar ist das nichts. In deiner Milchkammer rührst du auch nicht in den Töpfen herum; du wartest doch ruhig, bis die Sahne sich absteht. Na – also!“ Seneïde beugte sich still auf ihre Arbeit nieder. Nun kamen Günther und Beate. Günther begann sofort die alten Damen zu bezaubern. Nichts im Leben war ihm ungemütlicher, als wenn er nicht gefiel. Bei der Toilette bemühte er sich, Peter zu gefallen, und auf der Reise dem Schaffner. „O Mama, wie blühend du aussiehst, hübsch und sommerlich. Und Tante – Ihr Harmonium habe ich heute früh schon im Bette gehört. Geradezu heilig hab’ ich dabei geschlafen – auf Ehre. Gott, hier muß man ja gut sein.“

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Eduard von Keyserlings „Beate und Mareile“ erschi… [mehr]

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2012-10-26T10:30:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2012-10-26T10:30:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2012-10-26T10:30:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/keyserling_beatemareile_1903
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/keyserling_beatemareile_1903/17
Zitationshilfe: von Keyserling, Eduard: Beate und Mareile. Eine Schloßgeschichte. Berlin, [1909], S. 15. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keyserling_beatemareile_1903/17>, abgerufen am 29.03.2024.