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von Keyserling, Eduard: Beate und Mareile. Eine Schloßgeschichte. Berlin, [1909].

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Leben drohte kein Schatten mehr. Sie floh vor diesem Gedanken; aber er kam immer wieder. Das Stampfen des Zuges sprach davon, deutliche Bilder kamen; der Katafalk im Ahnensaal, Blumen, Kerzen, deren Flammen bleich und durchsichtig im weißen Schneelichte standen, das durch die hohen Fenster einfiel. Sie selbst im Trauerkleide, Went auf ihren Knien, einsam in dem alten Kaltin, das wieder seinen Frieden und seine Heiligkeit zurückgewonnen hatte. Beate fuhr auf. Gott, was war es denn, das in ihr so denken, so fühlen durfte? Aber kaum schloß sie die Augen, so kamen die Bilder wieder.

Frühmorgens langte Beate in Berlin an. Im Hause in der Wilhelmstraße schlief noch alles. Sie ließ sich in das Krankenzimmer führen, und dort, auf demselben Stuhl, den Mareile eben verlassen hatte, wartete sie auf Günthers Erwachen. Als er seine Augen aufschlug, sah er Beate an, anfangs teilnahmlos, dann jedoch kam ein zufriedener Ausdruck in das hagere Gesicht. "Näher," flüsterte er, seufzte einen tiefen Seufzer der Erleichterung und drückte seinen Kopf tiefer in die Kissen, als könnte er nun ruhig einschlafen. Beate rückte näher heran. Alles Fremde in ihr war fort. Ihre Seele wandelte wieder auf bekannten, reinen Pfaden.

Günthers Krankheit zog sich lange hin. Die Ärzte fürchteten die Folgen der Verwundung. Günther nahm Beatens Pflege freundlich und wie etwas selbstverständlich ihm Zukommendes entgegen. Das Leben ging wieder seinen hübschen, geordneten Gang. Stundenlang, wenn sie Günthers Schlaf bewachte, konnte Beate müßig in das Flirren der großen, weißen Flocken hinaussehen. Die weiße Decke,

Leben drohte kein Schatten mehr. Sie floh vor diesem Gedanken; aber er kam immer wieder. Das Stampfen des Zuges sprach davon, deutliche Bilder kamen; der Katafalk im Ahnensaal, Blumen, Kerzen, deren Flammen bleich und durchsichtig im weißen Schneelichte standen, das durch die hohen Fenster einfiel. Sie selbst im Trauerkleide, Went auf ihren Knien, einsam in dem alten Kaltin, das wieder seinen Frieden und seine Heiligkeit zurückgewonnen hatte. Beate fuhr auf. Gott, was war es denn, das in ihr so denken, so fühlen durfte? Aber kaum schloß sie die Augen, so kamen die Bilder wieder.

Frühmorgens langte Beate in Berlin an. Im Hause in der Wilhelmstraße schlief noch alles. Sie ließ sich in das Krankenzimmer führen, und dort, auf demselben Stuhl, den Mareile eben verlassen hatte, wartete sie auf Günthers Erwachen. Als er seine Augen aufschlug, sah er Beate an, anfangs teilnahmlos, dann jedoch kam ein zufriedener Ausdruck in das hagere Gesicht. „Näher,“ flüsterte er, seufzte einen tiefen Seufzer der Erleichterung und drückte seinen Kopf tiefer in die Kissen, als könnte er nun ruhig einschlafen. Beate rückte näher heran. Alles Fremde in ihr war fort. Ihre Seele wandelte wieder auf bekannten, reinen Pfaden.

Günthers Krankheit zog sich lange hin. Die Ärzte fürchteten die Folgen der Verwundung. Günther nahm Beatens Pflege freundlich und wie etwas selbstverständlich ihm Zukommendes entgegen. Das Leben ging wieder seinen hübschen, geordneten Gang. Stundenlang, wenn sie Günthers Schlaf bewachte, konnte Beate müßig in das Flirren der großen, weißen Flocken hinaussehen. Die weiße Decke,

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Leben drohte kein Schatten mehr. Sie floh vor diesem Gedanken; aber er kam immer wieder. Das Stampfen des Zuges sprach davon, deutliche Bilder kamen; der Katafalk im Ahnensaal, Blumen, Kerzen, deren Flammen bleich und durchsichtig im weißen Schneelichte standen, das durch die hohen Fenster einfiel. Sie selbst im Trauerkleide, Went auf ihren Knien, einsam in dem alten Kaltin, das wieder seinen Frieden und seine Heiligkeit zurückgewonnen hatte. Beate fuhr auf. Gott, was war es denn, das in ihr so denken, so fühlen durfte? Aber kaum schloß sie die Augen, so kamen die Bilder wieder.</p>
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[138/0140] Leben drohte kein Schatten mehr. Sie floh vor diesem Gedanken; aber er kam immer wieder. Das Stampfen des Zuges sprach davon, deutliche Bilder kamen; der Katafalk im Ahnensaal, Blumen, Kerzen, deren Flammen bleich und durchsichtig im weißen Schneelichte standen, das durch die hohen Fenster einfiel. Sie selbst im Trauerkleide, Went auf ihren Knien, einsam in dem alten Kaltin, das wieder seinen Frieden und seine Heiligkeit zurückgewonnen hatte. Beate fuhr auf. Gott, was war es denn, das in ihr so denken, so fühlen durfte? Aber kaum schloß sie die Augen, so kamen die Bilder wieder. Frühmorgens langte Beate in Berlin an. Im Hause in der Wilhelmstraße schlief noch alles. Sie ließ sich in das Krankenzimmer führen, und dort, auf demselben Stuhl, den Mareile eben verlassen hatte, wartete sie auf Günthers Erwachen. Als er seine Augen aufschlug, sah er Beate an, anfangs teilnahmlos, dann jedoch kam ein zufriedener Ausdruck in das hagere Gesicht. „Näher,“ flüsterte er, seufzte einen tiefen Seufzer der Erleichterung und drückte seinen Kopf tiefer in die Kissen, als könnte er nun ruhig einschlafen. Beate rückte näher heran. Alles Fremde in ihr war fort. Ihre Seele wandelte wieder auf bekannten, reinen Pfaden. Günthers Krankheit zog sich lange hin. Die Ärzte fürchteten die Folgen der Verwundung. Günther nahm Beatens Pflege freundlich und wie etwas selbstverständlich ihm Zukommendes entgegen. Das Leben ging wieder seinen hübschen, geordneten Gang. Stundenlang, wenn sie Günthers Schlaf bewachte, konnte Beate müßig in das Flirren der großen, weißen Flocken hinaussehen. Die weiße Decke,

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Zitationshilfe: von Keyserling, Eduard: Beate und Mareile. Eine Schloßgeschichte. Berlin, [1909], S. 138. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keyserling_beatemareile_1903/140>, abgerufen am 28.04.2024.