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von Keyserling, Eduard: Beate und Mareile. Eine Schloßgeschichte. Berlin, [1909].

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Im Krankenzimmer herrschte Dämmerlicht. Es roch nach Jodoform. Mareile atmete beklommen. Das waren Licht und Luft, in denen sie am schwersten zu leben vermochte. Die Diakonissin sagte vorwurfsvoll: "Er schläft." Mareile nickte und setzte sich auf einen Stuhl neben dem Bette. Im Zimmer herrschte wieder die schwere, drohende Stille. Das schmale, weiße Gesicht in den Polstern erschien Mareile so fremd. Sie weinte leise; sie sehnte sich nach dem ihr bekannten Günther, nach seinem hübschen, leichtsinnigen Gesichte ... Diesen Günther mußte sie wieder haben, sie hatte ihn sich mit aller Rücksichtslosigkeit gegen andere und gegen sich selbst erkämpft. Wurde er ihr genommen, was war ihr Leben dann? Etwas Formloses, etwas, das schweigt und droht, wie diese Krankenstube. Er mußte leben. Sie fühlte es körperlich, wie ihr Lebenswille auf den bleichen Schläfer überströmte, warm, stark, als brächen in ihr die heißen Bäche des Lebens auf, um ihn zu überschwemmen. Günther regte sich. Mareile beugte sich auf ihn nieder. "Willst du trinken?" fragte sie. Er nickte. Seine Augen sahen mit dem müden, freudlosen Blick der Kranken vor sich hin, ohne Mareile zu erkennen. Sie gab ihm zu trinken. Das Rauschen des Kleides, der Orchideenduft mußten ihm auffallen, er sah Mareile an. "Ja, ich - ich bin's," flüsterte sie. Sie beugte ihr Gesicht nah auf das seine nieder, strahlte ihn mit ihren Augen an, ungeduldig, ihn aus der Ferne seiner Träume zurückzuholen. "Mareiling," sagte er und lächelte matt; aber gleich wieder schloß er die Augen, und das Gesicht nahm wieder den ältlichen, mißmutigen Ausdruck an; dabei rückte er ein wenig von Mareile fort.

Im Krankenzimmer herrschte Dämmerlicht. Es roch nach Jodoform. Mareile atmete beklommen. Das waren Licht und Luft, in denen sie am schwersten zu leben vermochte. Die Diakonissin sagte vorwurfsvoll: „Er schläft.“ Mareile nickte und setzte sich auf einen Stuhl neben dem Bette. Im Zimmer herrschte wieder die schwere, drohende Stille. Das schmale, weiße Gesicht in den Polstern erschien Mareile so fremd. Sie weinte leise; sie sehnte sich nach dem ihr bekannten Günther, nach seinem hübschen, leichtsinnigen Gesichte … Diesen Günther mußte sie wieder haben, sie hatte ihn sich mit aller Rücksichtslosigkeit gegen andere und gegen sich selbst erkämpft. Wurde er ihr genommen, was war ihr Leben dann? Etwas Formloses, etwas, das schweigt und droht, wie diese Krankenstube. Er mußte leben. Sie fühlte es körperlich, wie ihr Lebenswille auf den bleichen Schläfer überströmte, warm, stark, als brächen in ihr die heißen Bäche des Lebens auf, um ihn zu überschwemmen. Günther regte sich. Mareile beugte sich auf ihn nieder. „Willst du trinken?“ fragte sie. Er nickte. Seine Augen sahen mit dem müden, freudlosen Blick der Kranken vor sich hin, ohne Mareile zu erkennen. Sie gab ihm zu trinken. Das Rauschen des Kleides, der Orchideenduft mußten ihm auffallen, er sah Mareile an. „Ja, ich – ich bin’s,“ flüsterte sie. Sie beugte ihr Gesicht nah auf das seine nieder, strahlte ihn mit ihren Augen an, ungeduldig, ihn aus der Ferne seiner Träume zurückzuholen. „Mareiling,“ sagte er und lächelte matt; aber gleich wieder schloß er die Augen, und das Gesicht nahm wieder den ältlichen, mißmutigen Ausdruck an; dabei rückte er ein wenig von Mareile fort.

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[136/0138] Im Krankenzimmer herrschte Dämmerlicht. Es roch nach Jodoform. Mareile atmete beklommen. Das waren Licht und Luft, in denen sie am schwersten zu leben vermochte. Die Diakonissin sagte vorwurfsvoll: „Er schläft.“ Mareile nickte und setzte sich auf einen Stuhl neben dem Bette. Im Zimmer herrschte wieder die schwere, drohende Stille. Das schmale, weiße Gesicht in den Polstern erschien Mareile so fremd. Sie weinte leise; sie sehnte sich nach dem ihr bekannten Günther, nach seinem hübschen, leichtsinnigen Gesichte … Diesen Günther mußte sie wieder haben, sie hatte ihn sich mit aller Rücksichtslosigkeit gegen andere und gegen sich selbst erkämpft. Wurde er ihr genommen, was war ihr Leben dann? Etwas Formloses, etwas, das schweigt und droht, wie diese Krankenstube. Er mußte leben. Sie fühlte es körperlich, wie ihr Lebenswille auf den bleichen Schläfer überströmte, warm, stark, als brächen in ihr die heißen Bäche des Lebens auf, um ihn zu überschwemmen. Günther regte sich. Mareile beugte sich auf ihn nieder. „Willst du trinken?“ fragte sie. Er nickte. Seine Augen sahen mit dem müden, freudlosen Blick der Kranken vor sich hin, ohne Mareile zu erkennen. Sie gab ihm zu trinken. Das Rauschen des Kleides, der Orchideenduft mußten ihm auffallen, er sah Mareile an. „Ja, ich – ich bin’s,“ flüsterte sie. Sie beugte ihr Gesicht nah auf das seine nieder, strahlte ihn mit ihren Augen an, ungeduldig, ihn aus der Ferne seiner Träume zurückzuholen. „Mareiling,“ sagte er und lächelte matt; aber gleich wieder schloß er die Augen, und das Gesicht nahm wieder den ältlichen, mißmutigen Ausdruck an; dabei rückte er ein wenig von Mareile fort.

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Zitationshilfe: von Keyserling, Eduard: Beate und Mareile. Eine Schloßgeschichte. Berlin, [1909], S. 136. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keyserling_beatemareile_1903/138>, abgerufen am 28.04.2024.