Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

von Keyserling, Eduard: Beate und Mareile. Eine Schloßgeschichte. Berlin, [1909].

Bild:
<< vorherige Seite

Welle wahr, ehe sie zerfließt." Mareile hielt inne. "Weinst du?" fragte Günther mit geschlossenen Augen. Neben ihm rauschte es. Mareile war am Ruhebette niedergesunken und legte ihren Kopf auf seine Brust. "Kühnere Welle," wiederholte Günther wie im Traum.

Beate verließ das Krankenzimmer. Die Mutter schlief. Neben ihr, auf dem Sessel, das Gesangbuch aufgeschlagen auf den Knien, schlief auch Seneide.

Beate ging in den neuen Flügel hinüber, durch die Zimmer, in denen die hübschen, blanken Dinge in dem klaren Septemberlichte das stumme, selbstzufriedene Leben der Sachen lebten, das traurige Menschen noch trauriger macht. Sie stellte sich an das Fenster und schaute in den Garten hinaus. Die grellen Herbstblumen brannten auf den Beeten. Der Buchsbaum war ganz blank in der Sonne. Dort unten, wo der wilde Wein am Holzbogen den Garten von der Wiese abschließt, tauchte ein Figürchen auf, hell und klein in der Ferne auf dem Hintergrunde des bunten Lebens. Mareile war es, in ihrem mattfarbenen Mantel, den gelben Hut auf dem Kopfe. "Hübsch," dachte Beate, "wie ein laterna-magica-Bildchen auf roter Wand. Sie will wohl unten durch das kleine Tor hinaus in den Wald." Dann war sie fort; aber ein zweites Bildchen tauchte auf der roten Laubwand auf, klein und hell. Günther war es, im grauen Sommeranzug, den Strohhut auf dem Kopfe. "Er will wohl unten durch das kleine Tor hinaus in den Wald," kommentierten Beatens Gedanken mechanisch; dann gab es ein Stutzen in den Gedanken, ein hastiges Arbeiten. Mareile

Welle wahr, ehe sie zerfließt.“ Mareile hielt inne. „Weinst du?“ fragte Günther mit geschlossenen Augen. Neben ihm rauschte es. Mareile war am Ruhebette niedergesunken und legte ihren Kopf auf seine Brust. „Kühnere Welle,“ wiederholte Günther wie im Traum.

Beate verließ das Krankenzimmer. Die Mutter schlief. Neben ihr, auf dem Sessel, das Gesangbuch aufgeschlagen auf den Knien, schlief auch Seneïde.

Beate ging in den neuen Flügel hinüber, durch die Zimmer, in denen die hübschen, blanken Dinge in dem klaren Septemberlichte das stumme, selbstzufriedene Leben der Sachen lebten, das traurige Menschen noch trauriger macht. Sie stellte sich an das Fenster und schaute in den Garten hinaus. Die grellen Herbstblumen brannten auf den Beeten. Der Buchsbaum war ganz blank in der Sonne. Dort unten, wo der wilde Wein am Holzbogen den Garten von der Wiese abschließt, tauchte ein Figürchen auf, hell und klein in der Ferne auf dem Hintergrunde des bunten Lebens. Mareile war es, in ihrem mattfarbenen Mantel, den gelben Hut auf dem Kopfe. „Hübsch,“ dachte Beate, „wie ein laterna-magica-Bildchen auf roter Wand. Sie will wohl unten durch das kleine Tor hinaus in den Wald.“ Dann war sie fort; aber ein zweites Bildchen tauchte auf der roten Laubwand auf, klein und hell. Günther war es, im grauen Sommeranzug, den Strohhut auf dem Kopfe. „Er will wohl unten durch das kleine Tor hinaus in den Wald,“ kommentierten Beatens Gedanken mechanisch; dann gab es ein Stutzen in den Gedanken, ein hastiges Arbeiten. Mareile

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0115" n="113"/>
Welle wahr, ehe sie zerfließt.&#x201C; Mareile hielt inne. &#x201E;Weinst du?&#x201C; fragte Günther mit geschlossenen Augen. Neben ihm rauschte es. Mareile war am Ruhebette niedergesunken und legte ihren Kopf auf seine Brust. &#x201E;Kühnere Welle,&#x201C; wiederholte Günther wie im Traum.</p>
        <p>Beate verließ das Krankenzimmer. Die Mutter schlief. Neben ihr, auf dem Sessel, das Gesangbuch aufgeschlagen auf den Knien, schlief auch Seneïde.</p>
        <p>Beate ging in den neuen Flügel hinüber, durch die Zimmer, in denen die hübschen, blanken Dinge in dem klaren Septemberlichte das stumme, selbstzufriedene Leben der Sachen lebten, das traurige Menschen noch trauriger macht. Sie stellte sich an das Fenster und schaute in den Garten hinaus. Die grellen Herbstblumen brannten auf den Beeten. Der Buchsbaum war ganz blank in der Sonne. Dort unten, wo der wilde Wein am Holzbogen den Garten von der Wiese abschließt, tauchte ein Figürchen auf, hell und klein in der Ferne auf dem Hintergrunde des bunten Lebens. Mareile war es, in ihrem mattfarbenen Mantel, den gelben Hut auf dem Kopfe. &#x201E;Hübsch,&#x201C; dachte Beate, &#x201E;wie ein <hi rendition="#aq">laterna-magica</hi>-Bildchen auf roter Wand. Sie will wohl unten durch das kleine Tor hinaus in den Wald.&#x201C; Dann war sie fort; aber ein zweites Bildchen tauchte auf der roten Laubwand auf, klein und hell. Günther war es, im grauen Sommeranzug, den Strohhut auf dem Kopfe. &#x201E;Er will wohl unten durch das kleine Tor hinaus in den Wald,&#x201C; kommentierten Beatens Gedanken mechanisch; dann gab es ein Stutzen in den Gedanken, ein hastiges Arbeiten. Mareile
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[113/0115] Welle wahr, ehe sie zerfließt.“ Mareile hielt inne. „Weinst du?“ fragte Günther mit geschlossenen Augen. Neben ihm rauschte es. Mareile war am Ruhebette niedergesunken und legte ihren Kopf auf seine Brust. „Kühnere Welle,“ wiederholte Günther wie im Traum. Beate verließ das Krankenzimmer. Die Mutter schlief. Neben ihr, auf dem Sessel, das Gesangbuch aufgeschlagen auf den Knien, schlief auch Seneïde. Beate ging in den neuen Flügel hinüber, durch die Zimmer, in denen die hübschen, blanken Dinge in dem klaren Septemberlichte das stumme, selbstzufriedene Leben der Sachen lebten, das traurige Menschen noch trauriger macht. Sie stellte sich an das Fenster und schaute in den Garten hinaus. Die grellen Herbstblumen brannten auf den Beeten. Der Buchsbaum war ganz blank in der Sonne. Dort unten, wo der wilde Wein am Holzbogen den Garten von der Wiese abschließt, tauchte ein Figürchen auf, hell und klein in der Ferne auf dem Hintergrunde des bunten Lebens. Mareile war es, in ihrem mattfarbenen Mantel, den gelben Hut auf dem Kopfe. „Hübsch,“ dachte Beate, „wie ein laterna-magica-Bildchen auf roter Wand. Sie will wohl unten durch das kleine Tor hinaus in den Wald.“ Dann war sie fort; aber ein zweites Bildchen tauchte auf der roten Laubwand auf, klein und hell. Günther war es, im grauen Sommeranzug, den Strohhut auf dem Kopfe. „Er will wohl unten durch das kleine Tor hinaus in den Wald,“ kommentierten Beatens Gedanken mechanisch; dann gab es ein Stutzen in den Gedanken, ein hastiges Arbeiten. Mareile

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Eduard von Keyserlings „Beate und Mareile“ erschi… [mehr]

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2012-10-26T10:30:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2012-10-26T10:30:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2012-10-26T10:30:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/keyserling_beatemareile_1903
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/keyserling_beatemareile_1903/115
Zitationshilfe: von Keyserling, Eduard: Beate und Mareile. Eine Schloßgeschichte. Berlin, [1909], S. 113. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keyserling_beatemareile_1903/115>, abgerufen am 28.04.2024.