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von Keyserling, Eduard: Beate und Mareile. Eine Schloßgeschichte. Berlin, [1909].

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Günther ärgerte sich. Warum verdarb sie ihm die Liebesstunde? "Warum mußt du heute so sein?" sagte er traurig und enttäuscht; da weinte Mareile in ihrer stillen Art; die Tränen flossen reichlich, wie Kindertränen, aus den unbewegten Augen. "Verzeih!" sagte sie, "aber heute ist alles so freudlos." Dann schmiegte sie sich eng an ihn. "Nimm mich," flüsterte sie. Das Mondlicht rückte langsam an der Wand hin; dann nach einer Weile, als Mareile hinschaute, war es fort; ein graues Licht drang durch das Fenster. Draußen ertönte ein fernes, gläsernes Klingen - die Lerche.

"Wir müssen heimgehen," sagte Mareile. In dem verdrossenen Morgenlichte standen die Liebenden einander gegenüber, gramvoll, wie zwei Sünder. In diesem Augenblicke lebte in ihnen nichts mehr von der Poesie ihrer Liebe. Schweigend gingen sie an den Gemüsebeeten hin, die grau vom Tau lagen; und sie lehnten sich in der Melancholie dieser Morgendämmerung aneinander, als beugte sie ein Gram. Günther war über die Hintertreppe in sein Zimmer hinaufgeschlichen. Trotz der frühen Stunde hörte er Schritte, ferne Stimmen im Schloß. Jetzt näherten die Schritte sich seiner Türe, Beate erschien auf der Schwelle in ihrem langen Nachtkleide. Sie war ruhig, ein wenig befangen. "Da bist du," sagte sie, "ich war schon einmal hier."

"Ich war draußen," brachte Günther unsicher heraus, "die Nacht war schön. Ich konnte nicht schlafen."

Beate unterbrach ihn, immer noch befangen, als wollte sie schnell über etwas hinwegkommen. "Ach so! Ja, aber die Mama ist krank. Es ist schlimm, glaube ich. Ich habe nach dem Doktor geschickt."

Günther ärgerte sich. Warum verdarb sie ihm die Liebesstunde? „Warum mußt du heute so sein?“ sagte er traurig und enttäuscht; da weinte Mareile in ihrer stillen Art; die Tränen flossen reichlich, wie Kindertränen, aus den unbewegten Augen. „Verzeih!“ sagte sie, „aber heute ist alles so freudlos.“ Dann schmiegte sie sich eng an ihn. „Nimm mich,“ flüsterte sie. Das Mondlicht rückte langsam an der Wand hin; dann nach einer Weile, als Mareile hinschaute, war es fort; ein graues Licht drang durch das Fenster. Draußen ertönte ein fernes, gläsernes Klingen – die Lerche.

„Wir müssen heimgehen,“ sagte Mareile. In dem verdrossenen Morgenlichte standen die Liebenden einander gegenüber, gramvoll, wie zwei Sünder. In diesem Augenblicke lebte in ihnen nichts mehr von der Poesie ihrer Liebe. Schweigend gingen sie an den Gemüsebeeten hin, die grau vom Tau lagen; und sie lehnten sich in der Melancholie dieser Morgendämmerung aneinander, als beugte sie ein Gram. Günther war über die Hintertreppe in sein Zimmer hinaufgeschlichen. Trotz der frühen Stunde hörte er Schritte, ferne Stimmen im Schloß. Jetzt näherten die Schritte sich seiner Türe, Beate erschien auf der Schwelle in ihrem langen Nachtkleide. Sie war ruhig, ein wenig befangen. „Da bist du,“ sagte sie, „ich war schon einmal hier.“

„Ich war draußen,“ brachte Günther unsicher heraus, „die Nacht war schön. Ich konnte nicht schlafen.“

Beate unterbrach ihn, immer noch befangen, als wollte sie schnell über etwas hinwegkommen. „Ach so! Ja, aber die Mama ist krank. Es ist schlimm, glaube ich. Ich habe nach dem Doktor geschickt.“

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[110/0112] Günther ärgerte sich. Warum verdarb sie ihm die Liebesstunde? „Warum mußt du heute so sein?“ sagte er traurig und enttäuscht; da weinte Mareile in ihrer stillen Art; die Tränen flossen reichlich, wie Kindertränen, aus den unbewegten Augen. „Verzeih!“ sagte sie, „aber heute ist alles so freudlos.“ Dann schmiegte sie sich eng an ihn. „Nimm mich,“ flüsterte sie. Das Mondlicht rückte langsam an der Wand hin; dann nach einer Weile, als Mareile hinschaute, war es fort; ein graues Licht drang durch das Fenster. Draußen ertönte ein fernes, gläsernes Klingen – die Lerche. „Wir müssen heimgehen,“ sagte Mareile. In dem verdrossenen Morgenlichte standen die Liebenden einander gegenüber, gramvoll, wie zwei Sünder. In diesem Augenblicke lebte in ihnen nichts mehr von der Poesie ihrer Liebe. Schweigend gingen sie an den Gemüsebeeten hin, die grau vom Tau lagen; und sie lehnten sich in der Melancholie dieser Morgendämmerung aneinander, als beugte sie ein Gram. Günther war über die Hintertreppe in sein Zimmer hinaufgeschlichen. Trotz der frühen Stunde hörte er Schritte, ferne Stimmen im Schloß. Jetzt näherten die Schritte sich seiner Türe, Beate erschien auf der Schwelle in ihrem langen Nachtkleide. Sie war ruhig, ein wenig befangen. „Da bist du,“ sagte sie, „ich war schon einmal hier.“ „Ich war draußen,“ brachte Günther unsicher heraus, „die Nacht war schön. Ich konnte nicht schlafen.“ Beate unterbrach ihn, immer noch befangen, als wollte sie schnell über etwas hinwegkommen. „Ach so! Ja, aber die Mama ist krank. Es ist schlimm, glaube ich. Ich habe nach dem Doktor geschickt.“

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Zitationshilfe: von Keyserling, Eduard: Beate und Mareile. Eine Schloßgeschichte. Berlin, [1909], S. 110. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keyserling_beatemareile_1903/112>, abgerufen am 28.04.2024.