Kerner, Justinus: Gedichte. Stuttgart u. a., 1826.Waldleben. Sey willkommen, Wandersmann, In des Waldes Einsamkeit! Was ein armes Leben freut, Hier man einzig finden kann. An der Quelle ruht das Reh, Drossel übet freien Sang; Waldesnacht mach' dir nicht bang, Grün thut keinem Auge weh. Bach und Thau giebt kühlen Schein, Blume blühet ungepflückt, Tief in Klüften, nie erblickt, Schlummert Gold und Edelstein. Eile nicht zu Stadt und Thal! Eine Mühle treibt der Quell: Drossel, so gesungen hell, Sizt im Bauer stumm und kahl. Aus der Erde stillem Schooß
Reißen sie den Edelstein; Wie ein Auge giebt er Schein, Das von Thränen überfloß. Waldleben. Sey willkommen, Wandersmann, In des Waldes Einſamkeit! Was ein armes Leben freut, Hier man einzig finden kann. An der Quelle ruht das Reh, Droſſel uͤbet freien Sang; Waldesnacht mach' dir nicht bang, Gruͤn thut keinem Auge weh. Bach und Thau giebt kuͤhlen Schein, Blume bluͤhet ungepfluͤckt, Tief in Kluͤften, nie erblickt, Schlummert Gold und Edelſtein. Eile nicht zu Stadt und Thal! Eine Muͤhle treibt der Quell: Droſſel, ſo geſungen hell, Sizt im Bauer ſtumm und kahl. Aus der Erde ſtillem Schooß
Reißen ſie den Edelſtein; Wie ein Auge giebt er Schein, Das von Thraͤnen uͤberfloß. <TEI> <text> <body> <pb facs="#f0075" n="63"/> <lg type="poem"> <head><hi rendition="#g">Waldleben</hi>.</head><lb/> <l> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> </l> <lg n="1"> <l>Sey willkommen, Wandersmann,</l><lb/> <l>In des Waldes Einſamkeit!</l><lb/> <l>Was ein armes Leben freut,</l><lb/> <l>Hier man einzig finden kann.</l> </lg><lb/> <lg n="2"> <l>An der Quelle ruht das Reh,</l><lb/> <l>Droſſel uͤbet freien Sang;</l><lb/> <l>Waldesnacht mach' dir nicht bang,</l><lb/> <l>Gruͤn thut keinem Auge weh.</l> </lg><lb/> <lg n="3"> <l>Bach und Thau giebt kuͤhlen Schein,</l><lb/> <l>Blume bluͤhet ungepfluͤckt,</l><lb/> <l>Tief in Kluͤften, nie erblickt,</l><lb/> <l>Schlummert Gold und Edelſtein.</l> </lg><lb/> <lg n="4"> <l>Eile nicht zu Stadt und Thal!</l><lb/> <l>Eine Muͤhle treibt der Quell:</l><lb/> <l>Droſſel, ſo geſungen hell,</l><lb/> <l>Sizt im Bauer ſtumm und kahl.</l> </lg><lb/> <lg n="5"> <l>Aus der Erde ſtillem Schooß</l><lb/> <l>Reißen ſie den Edelſtein;</l><lb/> <l>Wie ein Auge giebt er Schein,</l><lb/> <l>Das von Thraͤnen uͤberfloß.</l> </lg><lb/> <l> </l> </lg> </body> </text> </TEI> [63/0075]
Waldleben.
Sey willkommen, Wandersmann,
In des Waldes Einſamkeit!
Was ein armes Leben freut,
Hier man einzig finden kann.
An der Quelle ruht das Reh,
Droſſel uͤbet freien Sang;
Waldesnacht mach' dir nicht bang,
Gruͤn thut keinem Auge weh.
Bach und Thau giebt kuͤhlen Schein,
Blume bluͤhet ungepfluͤckt,
Tief in Kluͤften, nie erblickt,
Schlummert Gold und Edelſtein.
Eile nicht zu Stadt und Thal!
Eine Muͤhle treibt der Quell:
Droſſel, ſo geſungen hell,
Sizt im Bauer ſtumm und kahl.
Aus der Erde ſtillem Schooß
Reißen ſie den Edelſtein;
Wie ein Auge giebt er Schein,
Das von Thraͤnen uͤberfloß.
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