Kerner, Justinus: Gedichte. Stuttgart u. a., 1826.Morgengefühl. Der Morgenröthe Schein Den neuen Tag verkündet, Es steht der junge Hain Von Liebesglut entzündet. Die Sterne, Wanderns satt, Sind längst hinabgestiegen, Die Vögel an der Statt Froh durch den Himmel fliegen. Du armes Herz voll Pein, Wie bist du bang befangen; Es sizt ein Vögelein Krank hinter Eisenstangen. Wol hört es den Gesang, Den frohen Flug der andern, Da sizt es, matt und krank, Kann singen nicht, noch wandern. Und meinte doch im Traum,
Das Haupt versteckt im Flügel, Es säng' auf einem Baum, Flög' über Thal und Hügel. Morgengefuͤhl. Der Morgenroͤthe Schein Den neuen Tag verkuͤndet, Es ſteht der junge Hain Von Liebesglut entzuͤndet. Die Sterne, Wanderns ſatt, Sind laͤngſt hinabgeſtiegen, Die Voͤgel an der Statt Froh durch den Himmel fliegen. Du armes Herz voll Pein, Wie biſt du bang befangen; Es ſizt ein Voͤgelein Krank hinter Eiſenſtangen. Wol hoͤrt es den Geſang, Den frohen Flug der andern, Da ſizt es, matt und krank, Kann ſingen nicht, noch wandern. Und meinte doch im Traum,
Das Haupt verſteckt im Fluͤgel, Es ſaͤng' auf einem Baum, Floͤg' uͤber Thal und Huͤgel. <TEI> <text> <body> <pb facs="#f0070" n="58"/> <lg type="poem"> <head><hi rendition="#g">Morgengefuͤhl</hi>.</head><lb/> <l> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> </l> <lg n="1"> <l>Der Morgenroͤthe Schein</l><lb/> <l>Den neuen Tag verkuͤndet,</l><lb/> <l>Es ſteht der junge Hain</l><lb/> <l>Von Liebesglut entzuͤndet.</l> </lg><lb/> <lg n="2"> <l>Die Sterne, Wanderns ſatt,</l><lb/> <l>Sind laͤngſt hinabgeſtiegen,</l><lb/> <l>Die Voͤgel an der Statt</l><lb/> <l>Froh durch den Himmel fliegen.</l> </lg><lb/> <lg n="3"> <l>Du armes Herz voll Pein,</l><lb/> <l>Wie biſt du bang befangen;</l><lb/> <l>Es ſizt ein Voͤgelein</l><lb/> <l>Krank hinter Eiſenſtangen.</l> </lg><lb/> <lg n="4"> <l>Wol hoͤrt es den Geſang,</l><lb/> <l>Den frohen Flug der andern,</l><lb/> <l>Da ſizt es, matt und krank,</l><lb/> <l>Kann ſingen nicht, noch wandern.</l> </lg><lb/> <lg n="5"> <l>Und meinte doch im Traum,</l><lb/> <l>Das Haupt verſteckt im Fluͤgel,</l><lb/> <l>Es ſaͤng' auf einem Baum,</l><lb/> <l>Floͤg' uͤber Thal und Huͤgel.</l> </lg><lb/> <l> </l> </lg> </body> </text> </TEI> [58/0070]
Morgengefuͤhl.
Der Morgenroͤthe Schein
Den neuen Tag verkuͤndet,
Es ſteht der junge Hain
Von Liebesglut entzuͤndet.
Die Sterne, Wanderns ſatt,
Sind laͤngſt hinabgeſtiegen,
Die Voͤgel an der Statt
Froh durch den Himmel fliegen.
Du armes Herz voll Pein,
Wie biſt du bang befangen;
Es ſizt ein Voͤgelein
Krank hinter Eiſenſtangen.
Wol hoͤrt es den Geſang,
Den frohen Flug der andern,
Da ſizt es, matt und krank,
Kann ſingen nicht, noch wandern.
Und meinte doch im Traum,
Das Haupt verſteckt im Fluͤgel,
Es ſaͤng' auf einem Baum,
Floͤg' uͤber Thal und Huͤgel.
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