Kerner, Justinus: Gedichte. Stuttgart u. a., 1826.Episteln. Andreas an Anna. 1. Liebes Mädchen! sahst du nicht wie gestern Ich auf hohem Berge lang gelegen, Blickend auf das weiße Kreutz im Thale, Das die Flügel deines Fensters bilden? Glaubt' ich schon, du kämst durch's Thal gewandelt, Sprang ich auf, da war's ein weißes Blümlein, Das sich täuschend mir vor's Auge stellte. Lange harrt' ich, aber endlich breiten Auseinander sich des Fensters Flügel, Und an seinem weißen Kreutze stehst du, Berg und Thal ein stiller Friedensengel. Vöglein ziehen nah' an dir vorüber, Täublein sitzen auf dem nahen Dache, Kommt der Mond, und kommen alle Sterne, Blicken all' dir keck in's blaue Auge. Epiſteln. Andreas an Anna. 1. Liebes Maͤdchen! ſahſt du nicht wie geſtern Ich auf hohem Berge lang gelegen, Blickend auf das weiße Kreutz im Thale, Das die Fluͤgel deines Fenſters bilden? Glaubt' ich ſchon, du kaͤmſt durch's Thal gewandelt, Sprang ich auf, da war's ein weißes Bluͤmlein, Das ſich taͤuſchend mir vor's Auge ſtellte. Lange harrt' ich, aber endlich breiten Auseinander ſich des Fenſters Fluͤgel, Und an ſeinem weißen Kreutze ſtehſt du, Berg und Thal ein ſtiller Friedensengel. Voͤglein ziehen nah' an dir voruͤber, Taͤublein ſitzen auf dem nahen Dache, Kommt der Mond, und kommen alle Sterne, Blicken all' dir keck in's blaue Auge. <TEI> <text> <body> <pb facs="#f0201" n="189"/> <lg type="poem"> <head><hi rendition="#g">Epiſteln</hi>.</head><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> <lg type="poem" n="1"> <head> <hi rendition="#c"><hi rendition="#g">Andreas an Anna</hi>.</hi> </head><lb/> <head>1.</head><lb/> <lg n="1"> <l>Liebes Maͤdchen! ſahſt du nicht wie geſtern</l><lb/> <l>Ich auf hohem Berge lang gelegen,</l><lb/> <l>Blickend auf das weiße Kreutz im Thale,</l><lb/> <l>Das die Fluͤgel deines Fenſters bilden?</l> </lg><lb/> <lg n="2"> <l>Glaubt' ich ſchon, du kaͤmſt durch's Thal gewandelt,</l><lb/> <l>Sprang ich auf, da war's ein weißes Bluͤmlein,</l><lb/> <l>Das ſich taͤuſchend mir vor's Auge ſtellte.</l> </lg><lb/> <lg n="3"> <l>Lange harrt' ich, aber endlich breiten</l><lb/> <l>Auseinander ſich des Fenſters Fluͤgel,</l><lb/> <l>Und an ſeinem weißen Kreutze ſtehſt du,</l><lb/> <l>Berg und Thal ein ſtiller Friedensengel.</l> </lg><lb/> <lg n="4"> <l>Voͤglein ziehen nah' an dir voruͤber,</l><lb/> <l>Taͤublein ſitzen auf dem nahen Dache,</l><lb/> <l>Kommt der Mond, und kommen alle Sterne,</l><lb/> <l>Blicken all' dir keck in's blaue Auge.</l> </lg><lb/> </lg> </lg> </body> </text> </TEI> [189/0201]
Epiſteln.
Andreas an Anna.
1.
Liebes Maͤdchen! ſahſt du nicht wie geſtern
Ich auf hohem Berge lang gelegen,
Blickend auf das weiße Kreutz im Thale,
Das die Fluͤgel deines Fenſters bilden?
Glaubt' ich ſchon, du kaͤmſt durch's Thal gewandelt,
Sprang ich auf, da war's ein weißes Bluͤmlein,
Das ſich taͤuſchend mir vor's Auge ſtellte.
Lange harrt' ich, aber endlich breiten
Auseinander ſich des Fenſters Fluͤgel,
Und an ſeinem weißen Kreutze ſtehſt du,
Berg und Thal ein ſtiller Friedensengel.
Voͤglein ziehen nah' an dir voruͤber,
Taͤublein ſitzen auf dem nahen Dache,
Kommt der Mond, und kommen alle Sterne,
Blicken all' dir keck in's blaue Auge.
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