Kerner, Justinus: Gedichte. Stuttgart u. a., 1826.Eine Fabel. Frühling war's im Land geworden Und der Winter ward vertagt, Ohne daß den Herrenorden Gott noch lange drum befragt. Jenen packt deß Zorn und Trauer, Und er ruft: der Lenz gilt nicht! "Nehm' ihn nicht, du dummer Bauer! "Er ist klares Höllenlicht! "Diese Sonne ungeladen "Dring' zu mir nicht frevelnd ein!" Ruft's und schließt den Fensterladen, Hüllt sich in die Wildschur ein. Aber ruhig strahlt die Sonne Und es keimt die Saat mit Lust, Bürger, Bauer, dankt in Wonne Gott dafür in tiefer Brust. Aber hinterm Ofen sitzen
Bleibt der Herr und schimpft und flucht: "In der Wildschur will ich schwitzen, "Ich hab' keinen Lenz gesucht!" J. Kerners Gedichte. 11
Eine Fabel. Fruͤhling war's im Land geworden Und der Winter ward vertagt, Ohne daß den Herrenorden Gott noch lange drum befragt. Jenen packt deß Zorn und Trauer, Und er ruft: der Lenz gilt nicht! „Nehm' ihn nicht, du dummer Bauer! „Er iſt klares Hoͤllenlicht! „Dieſe Sonne ungeladen „Dring' zu mir nicht frevelnd ein!“ Ruft's und ſchließt den Fenſterladen, Huͤllt ſich in die Wildſchur ein. Aber ruhig ſtrahlt die Sonne Und es keimt die Saat mit Luſt, Buͤrger, Bauer, dankt in Wonne Gott dafuͤr in tiefer Bruſt. Aber hinterm Ofen ſitzen
Bleibt der Herr und ſchimpft und flucht: „In der Wildſchur will ich ſchwitzen, „Ich hab' keinen Lenz geſucht!“ J. Kerners Gedichte. 11
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Eine Fabel.
Fruͤhling war's im Land geworden
Und der Winter ward vertagt,
Ohne daß den Herrenorden
Gott noch lange drum befragt.
Jenen packt deß Zorn und Trauer,
Und er ruft: der Lenz gilt nicht!
„Nehm' ihn nicht, du dummer Bauer!
„Er iſt klares Hoͤllenlicht!
„Dieſe Sonne ungeladen
„Dring' zu mir nicht frevelnd ein!“
Ruft's und ſchließt den Fenſterladen,
Huͤllt ſich in die Wildſchur ein.
Aber ruhig ſtrahlt die Sonne
Und es keimt die Saat mit Luſt,
Buͤrger, Bauer, dankt in Wonne
Gott dafuͤr in tiefer Bruſt.
Aber hinterm Ofen ſitzen
Bleibt der Herr und ſchimpft und flucht:
„In der Wildſchur will ich ſchwitzen,
„Ich hab' keinen Lenz geſucht!“
J. Kerners Gedichte. 11
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