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Kerner, Justinus: Gedichte. Stuttgart u. a., 1826.

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Preiß der Tanne.

Jüngsthin hört' ich wie die Rebe
Mit der Tanne sprach und schalt:
Stolze! himmelwärts dich hebe!
Dennoch bleibst du starr und kalt!
Spend' auch ich nur kargen Schatten
Wegemüden, gleich wie du,
Führet doch mein Saft die Matten,
O wie leicht! der Heimat zu.
Und im Herbste, -- welche Wonne
Bring' ich in des Menschen Haus!
Schaff' ihm eine neue Sonne,
Wann die alte löschet aus.
So sich brüstend sprach die Rebe,
Doch die Tanne blieb nicht stumm,
Säuselnd sprach sie: gerne gebe
Ich dir, Rebe, Preiß und Ruhm.
Eines doch ist mir beschieden.
Mehr zu laben als dein Wein,
Lebensmüde; -- welchen Frieden
Schließen meine Bretter ein!
Preiß der Tanne.

Juͤngſthin hoͤrt' ich wie die Rebe
Mit der Tanne ſprach und ſchalt:
Stolze! himmelwaͤrts dich hebe!
Dennoch bleibſt du ſtarr und kalt!
Spend' auch ich nur kargen Schatten
Wegemuͤden, gleich wie du,
Fuͤhret doch mein Saft die Matten,
O wie leicht! der Heimat zu.
Und im Herbſte, — welche Wonne
Bring' ich in des Menſchen Haus!
Schaff' ihm eine neue Sonne,
Wann die alte loͤſchet aus.
So ſich bruͤſtend ſprach die Rebe,
Doch die Tanne blieb nicht ſtumm,
Saͤuſelnd ſprach ſie: gerne gebe
Ich dir, Rebe, Preiß und Ruhm.
Eines doch iſt mir beſchieden.
Mehr zu laben als dein Wein,
Lebensmuͤde; — welchen Frieden
Schließen meine Bretter ein!
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[5/0017] Preiß der Tanne. Juͤngſthin hoͤrt' ich wie die Rebe Mit der Tanne ſprach und ſchalt: Stolze! himmelwaͤrts dich hebe! Dennoch bleibſt du ſtarr und kalt! Spend' auch ich nur kargen Schatten Wegemuͤden, gleich wie du, Fuͤhret doch mein Saft die Matten, O wie leicht! der Heimat zu. Und im Herbſte, — welche Wonne Bring' ich in des Menſchen Haus! Schaff' ihm eine neue Sonne, Wann die alte loͤſchet aus. So ſich bruͤſtend ſprach die Rebe, Doch die Tanne blieb nicht ſtumm, Saͤuſelnd ſprach ſie: gerne gebe Ich dir, Rebe, Preiß und Ruhm. Eines doch iſt mir beſchieden. Mehr zu laben als dein Wein, Lebensmuͤde; — welchen Frieden Schließen meine Bretter ein!

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Zitationshilfe: Kerner, Justinus: Gedichte. Stuttgart u. a., 1826, S. 5. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kerner_gedichte_1826/17>, abgerufen am 28.03.2024.