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Kerner, Justinus: Gedichte. Stuttgart u. a., 1826.

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Auf die Anwesenheit des Herzogs von Braun-
schweig
in Braunschweig im Jahre 1809.

Könnt' ich, dem Adler gleich, in's Firmament mich schwingen,
Fröhlich und frey, ein Gott, in's blaue Weltall singen,
Trät' ich, bespritzt mit Blut, ein Mann, aus Kampf und
Schlacht,
Dann würd', o Welfe! Dir ein würdig Lob gebracht;
So aber bin ich nur ein weinend Kind gleich allen,
So Schwerdt als Harfe würd' der schwachen Hand entfallen;
Doch denk' ich Dein und Dein! wallt auf dieß träge Blut,
Und sieh! dem Kinde wächst noch alter teutscher Muth.
Dann sieht er Dich in Deiner Väter Hallen
Flüchtling, verbannt und arm, in stiller Trauer wallen,
Doch eh' zu neuem Kampf Dich wilder Donner ruft,
Steigst Du, ein treuer Sohn, in ihre stille Gruft.
Ein seltsam Schweigen hat da rings erfüllt die Mauern,
Man sah nicht Teutschland, doch man sah die Steine trauern,
Da sankst Du weinend hin, ein Strahl durchflog den Chor,
Und aus dem Sarge stieg Heinrich der Leu' empor.
Auf die Anweſenheit des Herzogs von Braun-
ſchweig
in Braunſchweig im Jahre 1809.

Koͤnnt' ich, dem Adler gleich, in's Firmament mich ſchwingen,
Froͤhlich und frey, ein Gott, in's blaue Weltall ſingen,
Traͤt' ich, beſpritzt mit Blut, ein Mann, aus Kampf und
Schlacht,
Dann wuͤrd', o Welfe! Dir ein wuͤrdig Lob gebracht;
So aber bin ich nur ein weinend Kind gleich allen,
So Schwerdt als Harfe wuͤrd' der ſchwachen Hand entfallen;
Doch denk' ich Dein und Dein! wallt auf dieß traͤge Blut,
Und ſieh! dem Kinde waͤchst noch alter teutſcher Muth.
Dann ſieht er Dich in Deiner Vaͤter Hallen
Fluͤchtling, verbannt und arm, in ſtiller Trauer wallen,
Doch eh' zu neuem Kampf Dich wilder Donner ruft,
Steigſt Du, ein treuer Sohn, in ihre ſtille Gruft.
Ein ſeltſam Schweigen hat da rings erfuͤllt die Mauern,
Man ſah nicht Teutſchland, doch man ſah die Steine trauern,
Da ſankſt Du weinend hin, ein Strahl durchflog den Chor,
Und aus dem Sarge ſtieg Heinrich der Leu' empor.
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[124/0136] Auf die Anweſenheit des Herzogs von Braun- ſchweig in Braunſchweig im Jahre 1809. Koͤnnt' ich, dem Adler gleich, in's Firmament mich ſchwingen, Froͤhlich und frey, ein Gott, in's blaue Weltall ſingen, Traͤt' ich, beſpritzt mit Blut, ein Mann, aus Kampf und Schlacht, Dann wuͤrd', o Welfe! Dir ein wuͤrdig Lob gebracht; So aber bin ich nur ein weinend Kind gleich allen, So Schwerdt als Harfe wuͤrd' der ſchwachen Hand entfallen; Doch denk' ich Dein und Dein! wallt auf dieß traͤge Blut, Und ſieh! dem Kinde waͤchst noch alter teutſcher Muth. Dann ſieht er Dich in Deiner Vaͤter Hallen Fluͤchtling, verbannt und arm, in ſtiller Trauer wallen, Doch eh' zu neuem Kampf Dich wilder Donner ruft, Steigſt Du, ein treuer Sohn, in ihre ſtille Gruft. Ein ſeltſam Schweigen hat da rings erfuͤllt die Mauern, Man ſah nicht Teutſchland, doch man ſah die Steine trauern, Da ſankſt Du weinend hin, ein Strahl durchflog den Chor, Und aus dem Sarge ſtieg Heinrich der Leu' empor.

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Zitationshilfe: Kerner, Justinus: Gedichte. Stuttgart u. a., 1826, S. 124. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kerner_gedichte_1826/136>, abgerufen am 05.05.2024.