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Kerner, Justinus: Geschichten Besessener neuerer Zeit. Karlsruhe, 1834.

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und mit diesem Griff in sie hineinfährt. Mit diesem ver-
schwindet ihre Besinnung und eigentlich ihre Individualität.
Sie ist nun nicht mehr in ihrem Körper, dagegen spricht eine
rohe Baßstimme nicht in ihrer Person, sondern in der des
Mönchs, aus ihr heraus, aber mit der Bewegung ihres
Mundes und mit ihren, aber dämonisch verzerrten, Gesichts-
zügen.

Was nun während eines solchen Zustandes der schwarze
Geist aus ihr spricht, sind Reden ganz eines verruchten
Dämons würdig, Dinge, die gar nicht in diesem ganz recht-
schaffenen Mädchen liegen. Es sind Verwünschungen
der heiligen Schrift, des Erlösers, alles Heiligen, und
Schimpfreden und Lästerungen über das Mädchen selbst,
die er nie anders als "Sau" benennt. Den gleichen
Schimpfnamen und die gleichen Lästerungen ertheilt er auch
der weißen Geistin.

Das Mädchen hat dabey den Kopf auf die linke Seite
gesenkt und die Augen immer fest geschlossen. Eröffnet man
sie gewaltsam, sieht man die Augensterne nach oben gekehrt.
Der linke Fuß bewegt sich immer heftig hin und her, die
Sohle hart auf dem Boden. Das Hin und Herbewegen des
Fußes dauert während des ganzen Anfalles (der oft vier
bis fünf Stunden währt) fort, so daß die Bretter des Bodens
mit dem nackten Fuße (man zieht ihr gewöhnlich Schuhe
und Strümpfe zur Schonung aus) ganz abgerieben werden
und hie und da aus der Fußsohle endlich Blut kommt.
Wäscht man aber nach dem Anfalle das Blut ab, so be-
merkt man auf der Haut nicht die mindeste Aufschirfung,
die Sohle ist wie der ganze Fuß eiskalt und das Mädchen
fühlt auch nicht das mindeste an ihr, so daß sie sogleich
nach dem Erwachen wieder rasch Stunden weit von dannen
läuft. Der rechte Fuß bleibt warm. Ihr Erwachen ist wie das
aus einem magnetischen Schlafe. Es geht ihm gleichsam ein
Streiten der rechten mit der linken Seite (des Guten mit dem
Bösen) voran. Der Kopf bewegt sich bald zur rechten bald
wieder zur linken Seite, bis er endlich auf die rechte Seite fällt,

und mit dieſem Griff in ſie hineinfährt. Mit dieſem ver-
ſchwindet ihre Beſinnung und eigentlich ihre Individualität.
Sie iſt nun nicht mehr in ihrem Körper, dagegen ſpricht eine
rohe Baßſtimme nicht in ihrer Perſon, ſondern in der des
Mönchs, aus ihr heraus, aber mit der Bewegung ihres
Mundes und mit ihren, aber dämoniſch verzerrten, Geſichts-
zügen.

Was nun während eines ſolchen Zuſtandes der ſchwarze
Geiſt aus ihr ſpricht, ſind Reden ganz eines verruchten
Dämons würdig, Dinge, die gar nicht in dieſem ganz recht-
ſchaffenen Mädchen liegen. Es ſind Verwünſchungen
der heiligen Schrift, des Erlöſers, alles Heiligen, und
Schimpfreden und Läſterungen über das Mädchen ſelbſt,
die er nie anders als „Sau“ benennt. Den gleichen
Schimpfnamen und die gleichen Läſterungen ertheilt er auch
der weißen Geiſtin.

Das Mädchen hat dabey den Kopf auf die linke Seite
geſenkt und die Augen immer feſt geſchloſſen. Eröffnet man
ſie gewaltſam, ſieht man die Augenſterne nach oben gekehrt.
Der linke Fuß bewegt ſich immer heftig hin und her, die
Sohle hart auf dem Boden. Das Hin und Herbewegen des
Fußes dauert während des ganzen Anfalles (der oft vier
bis fünf Stunden währt) fort, ſo daß die Bretter des Bodens
mit dem nackten Fuße (man zieht ihr gewöhnlich Schuhe
und Strümpfe zur Schonung aus) ganz abgerieben werden
und hie und da aus der Fußſohle endlich Blut kommt.
Wäſcht man aber nach dem Anfalle das Blut ab, ſo be-
merkt man auf der Haut nicht die mindeſte Aufſchirfung,
die Sohle iſt wie der ganze Fuß eiskalt und das Mädchen
fühlt auch nicht das mindeſte an ihr, ſo daß ſie ſogleich
nach dem Erwachen wieder raſch Stunden weit von dannen
läuft. Der rechte Fuß bleibt warm. Ihr Erwachen iſt wie das
aus einem magnetiſchen Schlafe. Es geht ihm gleichſam ein
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[36/0050] und mit dieſem Griff in ſie hineinfährt. Mit dieſem ver- ſchwindet ihre Beſinnung und eigentlich ihre Individualität. Sie iſt nun nicht mehr in ihrem Körper, dagegen ſpricht eine rohe Baßſtimme nicht in ihrer Perſon, ſondern in der des Mönchs, aus ihr heraus, aber mit der Bewegung ihres Mundes und mit ihren, aber dämoniſch verzerrten, Geſichts- zügen. Was nun während eines ſolchen Zuſtandes der ſchwarze Geiſt aus ihr ſpricht, ſind Reden ganz eines verruchten Dämons würdig, Dinge, die gar nicht in dieſem ganz recht- ſchaffenen Mädchen liegen. Es ſind Verwünſchungen der heiligen Schrift, des Erlöſers, alles Heiligen, und Schimpfreden und Läſterungen über das Mädchen ſelbſt, die er nie anders als „Sau“ benennt. Den gleichen Schimpfnamen und die gleichen Läſterungen ertheilt er auch der weißen Geiſtin. Das Mädchen hat dabey den Kopf auf die linke Seite geſenkt und die Augen immer feſt geſchloſſen. Eröffnet man ſie gewaltſam, ſieht man die Augenſterne nach oben gekehrt. Der linke Fuß bewegt ſich immer heftig hin und her, die Sohle hart auf dem Boden. Das Hin und Herbewegen des Fußes dauert während des ganzen Anfalles (der oft vier bis fünf Stunden währt) fort, ſo daß die Bretter des Bodens mit dem nackten Fuße (man zieht ihr gewöhnlich Schuhe und Strümpfe zur Schonung aus) ganz abgerieben werden und hie und da aus der Fußſohle endlich Blut kommt. Wäſcht man aber nach dem Anfalle das Blut ab, ſo be- merkt man auf der Haut nicht die mindeſte Aufſchirfung, die Sohle iſt wie der ganze Fuß eiskalt und das Mädchen fühlt auch nicht das mindeſte an ihr, ſo daß ſie ſogleich nach dem Erwachen wieder raſch Stunden weit von dannen läuft. Der rechte Fuß bleibt warm. Ihr Erwachen iſt wie das aus einem magnetiſchen Schlafe. Es geht ihm gleichſam ein Streiten der rechten mit der linken Seite (des Guten mit dem Böſen) voran. Der Kopf bewegt ſich bald zur rechten bald wieder zur linken Seite, bis er endlich auf die rechte Seite fällt,

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Zitationshilfe: Kerner, Justinus: Geschichten Besessener neuerer Zeit. Karlsruhe, 1834, S. 36. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kerner_besessene_1834/50>, abgerufen am 29.03.2024.