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Kerner, Justinus: Geschichten Besessener neuerer Zeit. Karlsruhe, 1834.

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wie eines Kindes. Sie erzählte es sogleich ihrem Vater, er
ging auch in den Stall, aber hörte nichts.

Um halb acht Uhr desselben Tages sah das Mädchen im
Hintergrunde des Stalles an der Mauer die graue Schatten-
gestalt einer Frau, die um Kopf und Leib wie einen schwarzen
Bund gewickelt hatte. Diese Erscheinung winkte dem Mädchen
mit der Hand.

Eine Stunde später, als sie dem Vieh Futter reichte, erschien
ihr die gleiche Gestalt wieder und fing zu reden an. Sie sprach
zu ihr hin: "Das Haus hinweg! das Haus hinweg! Ist es
nicht bis zum 5. März kommenden Jahres abgebrochen, ge-
schieht euch ein Unglück! Vor der Hand aber zieht nur in
Gottes Namen wieder ein und das heute noch, es soll bis da-
hin nichts geschehen. Wäre das Haus abgebrannt, so wäre das
nach dem Willen eines Bösen geschehen, ich habe es, euch schüz-
zend, verhindert; aber wird es nicht bis zum 5. März kom-
menden Jahres abgebrochen, so kann auch ich nicht mehr ein
Unglück verhüten und verspreche mir nur, daß es geschieht."

Das Mädchen gab nun der Erscheinung dieses Versprechen.
Vater und Bruder waren zugegen und hörten das Mädchen
sprechen, aber sonst sahen und hörten sie nichts.

Nach Aussage des Mädchens war die Stimme der Erschei-
nung eine weibliche und die Aussprache hochdeutsch.

Am 19. Februar halb neun Uhr Abends kam die Erscheinung
vor ihr Bett und sagte: "Ich bin wie du von weiblichem Ge-
schlecht und mit dir in einem Datum geboren. Wie lange,
lange Jahre schwebe ich hier!! Noch bin ich mit einem Bösen
verbunden, der nicht Gott, sondern dem Teufel dient. Du
kannst zu meiner Erlösung mithelfen."

Das Mädchen sagte: "Werde ich einen Schatz erhalten,
wenn ich dich erlösen helfe?"

Der Geist antwortete: "Trachte nicht nach irdischen Schäz-
zen, sie helfen nichts!"

Am 25. April Mittags zwölf Uhr erschien ihr der Geist wie-
der im Stall und sprach: "Grüß dich Gott liebe Schwester!
ich bin auch von Orlach gebürtig und mein Name hieß

wie eines Kindes. Sie erzählte es ſogleich ihrem Vater, er
ging auch in den Stall, aber hörte nichts.

Um halb acht Uhr deſſelben Tages ſah das Mädchen im
Hintergrunde des Stalles an der Mauer die graue Schatten-
geſtalt einer Frau, die um Kopf und Leib wie einen ſchwarzen
Bund gewickelt hatte. Dieſe Erſcheinung winkte dem Mädchen
mit der Hand.

Eine Stunde ſpäter, als ſie dem Vieh Futter reichte, erſchien
ihr die gleiche Geſtalt wieder und fing zu reden an. Sie ſprach
zu ihr hin: „Das Haus hinweg! das Haus hinweg! Iſt es
nicht bis zum 5. März kommenden Jahres abgebrochen, ge-
ſchieht euch ein Unglück! Vor der Hand aber zieht nur in
Gottes Namen wieder ein und das heute noch, es ſoll bis da-
hin nichts geſchehen. Wäre das Haus abgebrannt, ſo wäre das
nach dem Willen eines Böſen geſchehen, ich habe es, euch ſchüz-
zend, verhindert; aber wird es nicht bis zum 5. März kom-
menden Jahres abgebrochen, ſo kann auch ich nicht mehr ein
Unglück verhüten und verſpreche mir nur, daß es geſchieht.“

Das Mädchen gab nun der Erſcheinung dieſes Verſprechen.
Vater und Bruder waren zugegen und hörten das Mädchen
ſprechen, aber ſonſt ſahen und hörten ſie nichts.

Nach Ausſage des Mädchens war die Stimme der Erſchei-
nung eine weibliche und die Ausſprache hochdeutſch.

Am 19. Februar halb neun Uhr Abends kam die Erſcheinung
vor ihr Bett und ſagte: „Ich bin wie du von weiblichem Ge-
ſchlecht und mit dir in einem Datum geboren. Wie lange,
lange Jahre ſchwebe ich hier!! Noch bin ich mit einem Böſen
verbunden, der nicht Gott, ſondern dem Teufel dient. Du
kannſt zu meiner Erlöſung mithelfen.“

Das Mädchen ſagte: „Werde ich einen Schatz erhalten,
wenn ich dich erlöſen helfe?“

Der Geiſt antwortete: „Trachte nicht nach irdiſchen Schäz-
zen, ſie helfen nichts!“

Am 25. April Mittags zwölf Uhr erſchien ihr der Geiſt wie-
der im Stall und ſprach: „Grüß dich Gott liebe Schweſter!
ich bin auch von Orlach gebürtig und mein Name hieß

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[23/0037] wie eines Kindes. Sie erzählte es ſogleich ihrem Vater, er ging auch in den Stall, aber hörte nichts. Um halb acht Uhr deſſelben Tages ſah das Mädchen im Hintergrunde des Stalles an der Mauer die graue Schatten- geſtalt einer Frau, die um Kopf und Leib wie einen ſchwarzen Bund gewickelt hatte. Dieſe Erſcheinung winkte dem Mädchen mit der Hand. Eine Stunde ſpäter, als ſie dem Vieh Futter reichte, erſchien ihr die gleiche Geſtalt wieder und fing zu reden an. Sie ſprach zu ihr hin: „Das Haus hinweg! das Haus hinweg! Iſt es nicht bis zum 5. März kommenden Jahres abgebrochen, ge- ſchieht euch ein Unglück! Vor der Hand aber zieht nur in Gottes Namen wieder ein und das heute noch, es ſoll bis da- hin nichts geſchehen. Wäre das Haus abgebrannt, ſo wäre das nach dem Willen eines Böſen geſchehen, ich habe es, euch ſchüz- zend, verhindert; aber wird es nicht bis zum 5. März kom- menden Jahres abgebrochen, ſo kann auch ich nicht mehr ein Unglück verhüten und verſpreche mir nur, daß es geſchieht.“ Das Mädchen gab nun der Erſcheinung dieſes Verſprechen. Vater und Bruder waren zugegen und hörten das Mädchen ſprechen, aber ſonſt ſahen und hörten ſie nichts. Nach Ausſage des Mädchens war die Stimme der Erſchei- nung eine weibliche und die Ausſprache hochdeutſch. Am 19. Februar halb neun Uhr Abends kam die Erſcheinung vor ihr Bett und ſagte: „Ich bin wie du von weiblichem Ge- ſchlecht und mit dir in einem Datum geboren. Wie lange, lange Jahre ſchwebe ich hier!! Noch bin ich mit einem Böſen verbunden, der nicht Gott, ſondern dem Teufel dient. Du kannſt zu meiner Erlöſung mithelfen.“ Das Mädchen ſagte: „Werde ich einen Schatz erhalten, wenn ich dich erlöſen helfe?“ Der Geiſt antwortete: „Trachte nicht nach irdiſchen Schäz- zen, ſie helfen nichts!“ Am 25. April Mittags zwölf Uhr erſchien ihr der Geiſt wie- der im Stall und ſprach: „Grüß dich Gott liebe Schweſter! ich bin auch von Orlach gebürtig und mein Name hieß

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Zitationshilfe: Kerner, Justinus: Geschichten Besessener neuerer Zeit. Karlsruhe, 1834, S. 23. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kerner_besessene_1834/37>, abgerufen am 25.04.2024.