Es ist allerdings gut, daß es keine Hexenprocesse mehr gibt, wie sie früher betrieben wurden; denn sie waren die Schmach der Justiz und der Menschheit, aber es ist nicht gut, daß jeder Ankläger sogleich in Gefahr kommt, als Verläumder gestraft zu werden, weil die Natur des Ver- brechens keinen juridischen Beweis zuläßt.
Wohl mögen auch die Fälle viel seltener sein als früher, und dieß aus dem einfachen Grunde, weil der Religions- unterricht jetzt allgemein geworden ist, was er früher nicht war. Nach den Protokollen sind die Kinder schon in frü- her Jugend dazu verführt worden, und da konnte der Teu- felssamen Platz finden, weil noch kein christlicher ausge- streut war, aber jetzt treibt vielfältig der christliche den teuflischen aus. Doch wer mag dem Unkraut wehren, daß es nicht unter den Weizen sich mische? Sollen ja die Kin- der der Bosheit, welche der Teufel säet, neben den Kin- dern des Reichs, welche des Menschen Sohn säet, beste- hen und fortwachsen bis zur großen Ernte.
Letztlich hat sich der Verfasser dieser Reflexionen noch vor dem unedeln Mißverstand, der seine Tücke in Verdrehung der Meinung nicht lassen kann, zu verwahren und spricht sich daher ganz frey über die abgehandelten Gegenstände aus:
1) An die Wirklichkeit der Besitzung glaubte er vor aller Untersuchung schon um des Evangeliums, der Kirche und der Thatsachen wegen, die ihm unbezweifelt scheinen. Seine theoretische Untersuchung, hauptsächlich über die Beschaffen- heit der Unnatur, führte ihn aber auch auf die innere Mög- lichkeit eines solchen Zustandes und auf eine Erklärung sei- ner Erscheinungen, und bestärkte dadurch den Glauben an seine Wirklichkeit.
2) Ob die erwähnten Geschichten streng genommen zu den Besitzungen in älterer Bedeutung gehören, mag wohl
Es iſt allerdings gut, daß es keine Hexenproceſſe mehr gibt, wie ſie früher betrieben wurden; denn ſie waren die Schmach der Juſtiz und der Menſchheit, aber es iſt nicht gut, daß jeder Ankläger ſogleich in Gefahr kommt, als Verläumder geſtraft zu werden, weil die Natur des Ver- brechens keinen juridiſchen Beweis zuläßt.
Wohl mögen auch die Fälle viel ſeltener ſein als früher, und dieß aus dem einfachen Grunde, weil der Religions- unterricht jetzt allgemein geworden iſt, was er früher nicht war. Nach den Protokollen ſind die Kinder ſchon in frü- her Jugend dazu verführt worden, und da konnte der Teu- felsſamen Platz finden, weil noch kein chriſtlicher ausge- ſtreut war, aber jetzt treibt vielfältig der chriſtliche den teufliſchen aus. Doch wer mag dem Unkraut wehren, daß es nicht unter den Weizen ſich miſche? Sollen ja die Kin- der der Bosheit, welche der Teufel ſäet, neben den Kin- dern des Reichs, welche des Menſchen Sohn ſäet, beſte- hen und fortwachſen bis zur großen Ernte.
Letztlich hat ſich der Verfaſſer dieſer Reflexionen noch vor dem unedeln Mißverſtand, der ſeine Tücke in Verdrehung der Meinung nicht laſſen kann, zu verwahren und ſpricht ſich daher ganz frey über die abgehandelten Gegenſtände aus:
1) An die Wirklichkeit der Beſitzung glaubte er vor aller Unterſuchung ſchon um des Evangeliums, der Kirche und der Thatſachen wegen, die ihm unbezweifelt ſcheinen. Seine theoretiſche Unterſuchung, hauptſächlich über die Beſchaffen- heit der Unnatur, führte ihn aber auch auf die innere Mög- lichkeit eines ſolchen Zuſtandes und auf eine Erklärung ſei- ner Erſcheinungen, und beſtärkte dadurch den Glauben an ſeine Wirklichkeit.
2) Ob die erwähnten Geſchichten ſtreng genommen zu den Beſitzungen in älterer Bedeutung gehören, mag wohl
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Es iſt allerdings gut, daß es keine Hexenproceſſe mehr
gibt, wie ſie früher betrieben wurden; denn ſie waren die
Schmach der Juſtiz und der Menſchheit, aber es iſt nicht
gut, daß jeder Ankläger ſogleich in Gefahr kommt, als
Verläumder geſtraft zu werden, weil die Natur des Ver-
brechens keinen juridiſchen Beweis zuläßt.
Wohl mögen auch die Fälle viel ſeltener ſein als früher,
und dieß aus dem einfachen Grunde, weil der Religions-
unterricht jetzt allgemein geworden iſt, was er früher nicht
war. Nach den Protokollen ſind die Kinder ſchon in frü-
her Jugend dazu verführt worden, und da konnte der Teu-
felsſamen Platz finden, weil noch kein chriſtlicher ausge-
ſtreut war, aber jetzt treibt vielfältig der chriſtliche den
teufliſchen aus. Doch wer mag dem Unkraut wehren, daß
es nicht unter den Weizen ſich miſche? Sollen ja die Kin-
der der Bosheit, welche der Teufel ſäet, neben den Kin-
dern des Reichs, welche des Menſchen Sohn ſäet, beſte-
hen und fortwachſen bis zur großen Ernte.
Letztlich hat ſich der Verfaſſer dieſer Reflexionen noch vor
dem unedeln Mißverſtand, der ſeine Tücke in Verdrehung der
Meinung nicht laſſen kann, zu verwahren und ſpricht ſich
daher ganz frey über die abgehandelten Gegenſtände aus:
1) An die Wirklichkeit der Beſitzung glaubte er vor aller
Unterſuchung ſchon um des Evangeliums, der Kirche und
der Thatſachen wegen, die ihm unbezweifelt ſcheinen. Seine
theoretiſche Unterſuchung, hauptſächlich über die Beſchaffen-
heit der Unnatur, führte ihn aber auch auf die innere Mög-
lichkeit eines ſolchen Zuſtandes und auf eine Erklärung ſei-
ner Erſcheinungen, und beſtärkte dadurch den Glauben an
ſeine Wirklichkeit.
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Kerner, Justinus: Geschichten Besessener neuerer Zeit. Karlsruhe, 1834, S. 186. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kerner_besessene_1834/200>, abgerufen am 16.02.2025.
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