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Kerner, Justinus: Geschichten Besessener neuerer Zeit. Karlsruhe, 1834.

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Zorn des Satans, daß er sein Reich nicht anders erhalten
kann, als durch das Fahen der Menschenseelen. Als er
noch im Himmel seinen Sitz hatte, konnte er Manchen der
früher erschaffenen Engel zum Abfall bringen. Seitdem er
aber auf die Erde geworfen ist, muß er sich mit seiner
großen Staatskunst auf das Menschengeschlecht beschränken
und wie ein armseliger Fischer sein Netz auswerfen, um
Seelen zu erbeuten.

Das Reich des Satans ist das der umgekehrten Idee.
Statt Wahrheit ist Lug und Trug und Verblendung, statt
Schönheit ist Unflath, Häßlichkeit und Scheusal, und statt
Tugend ist Bosheit, Ruchlosigkeit und Verführung in ihm.
Und wie sich jene Ideen im Leben der Liebe verklären, so
zeugen ihre Gegensätze das Leben des Hasses, und dieß ist
der Charakter des satanischen Reichs. Seitdem den Satan
bei der ersten Verführung der Menschen der Fluch traf,
ist sein ganzes Seyn und Wesen nichts anderes, als die
Wirkung und Fortpflanzung des Fluchs, wovon die Be-
sitzung auch Eine der Wirkungen ist.

Besitzung ist diejenige Wirkung der Unnatur, in
welcher Einer oder mehrere unreine Geister durch
irgend eine Vermittlung in einen Menschenleib ein-
dringen, sich der Sinnen-, Bewegungs- und größ-
tentheils auch der Sprachwerkzeuge bemächtigen,
die Macht der Seele auf dieselbe sistiren und in
kürzern oder längern Paroxismen sich in fremden
Tönen, Worten, Geberden und Bewegungen, mei-
stens spöttischer, ruchloser und gewaltsamer Art,
vernehmen lassen
.

Diese Definition ist von den vorausgehenden Geschichten
gerechtfertigt.

Bey dem Mädchen von Orlach ist es ein in der Gestalt
eines Mönchs erscheinender Geist, der schon 400 Jahre an
den Ort seiner Verbrechen gebannt war und die gleichen
ruchlosen Gesinnungen und blasphemischen Reden äußerte,
wie er sie im Leben mag gehabt haben. Lange drohte er

Zorn des Satans, daß er ſein Reich nicht anders erhalten
kann, als durch das Fahen der Menſchenſeelen. Als er
noch im Himmel ſeinen Sitz hatte, konnte er Manchen der
früher erſchaffenen Engel zum Abfall bringen. Seitdem er
aber auf die Erde geworfen iſt, muß er ſich mit ſeiner
großen Staatskunſt auf das Menſchengeſchlecht beſchränken
und wie ein armſeliger Fiſcher ſein Netz auswerfen, um
Seelen zu erbeuten.

Das Reich des Satans iſt das der umgekehrten Idee.
Statt Wahrheit iſt Lug und Trug und Verblendung, ſtatt
Schönheit iſt Unflath, Häßlichkeit und Scheuſal, und ſtatt
Tugend iſt Bosheit, Ruchloſigkeit und Verführung in ihm.
Und wie ſich jene Ideen im Leben der Liebe verklären, ſo
zeugen ihre Gegenſätze das Leben des Haſſes, und dieß iſt
der Charakter des ſataniſchen Reichs. Seitdem den Satan
bei der erſten Verführung der Menſchen der Fluch traf,
iſt ſein ganzes Seyn und Weſen nichts anderes, als die
Wirkung und Fortpflanzung des Fluchs, wovon die Be-
ſitzung auch Eine der Wirkungen iſt.

Beſitzung iſt diejenige Wirkung der Unnatur, in
welcher Einer oder mehrere unreine Geiſter durch
irgend eine Vermittlung in einen Menſchenleib ein-
dringen, ſich der Sinnen-, Bewegungs- und größ-
tentheils auch der Sprachwerkzeuge bemächtigen,
die Macht der Seele auf dieſelbe ſiſtiren und in
kürzern oder längern Paroxismen ſich in fremden
Tönen, Worten, Geberden und Bewegungen, mei-
ſtens ſpöttiſcher, ruchloſer und gewaltſamer Art,
vernehmen laſſen
.

Dieſe Definition iſt von den vorausgehenden Geſchichten
gerechtfertigt.

Bey dem Mädchen von Orlach iſt es ein in der Geſtalt
eines Mönchs erſcheinender Geiſt, der ſchon 400 Jahre an
den Ort ſeiner Verbrechen gebannt war und die gleichen
ruchloſen Geſinnungen und blasphemiſchen Reden äußerte,
wie er ſie im Leben mag gehabt haben. Lange drohte er

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[136/0150] Zorn des Satans, daß er ſein Reich nicht anders erhalten kann, als durch das Fahen der Menſchenſeelen. Als er noch im Himmel ſeinen Sitz hatte, konnte er Manchen der früher erſchaffenen Engel zum Abfall bringen. Seitdem er aber auf die Erde geworfen iſt, muß er ſich mit ſeiner großen Staatskunſt auf das Menſchengeſchlecht beſchränken und wie ein armſeliger Fiſcher ſein Netz auswerfen, um Seelen zu erbeuten. Das Reich des Satans iſt das der umgekehrten Idee. Statt Wahrheit iſt Lug und Trug und Verblendung, ſtatt Schönheit iſt Unflath, Häßlichkeit und Scheuſal, und ſtatt Tugend iſt Bosheit, Ruchloſigkeit und Verführung in ihm. Und wie ſich jene Ideen im Leben der Liebe verklären, ſo zeugen ihre Gegenſätze das Leben des Haſſes, und dieß iſt der Charakter des ſataniſchen Reichs. Seitdem den Satan bei der erſten Verführung der Menſchen der Fluch traf, iſt ſein ganzes Seyn und Weſen nichts anderes, als die Wirkung und Fortpflanzung des Fluchs, wovon die Be- ſitzung auch Eine der Wirkungen iſt. Beſitzung iſt diejenige Wirkung der Unnatur, in welcher Einer oder mehrere unreine Geiſter durch irgend eine Vermittlung in einen Menſchenleib ein- dringen, ſich der Sinnen-, Bewegungs- und größ- tentheils auch der Sprachwerkzeuge bemächtigen, die Macht der Seele auf dieſelbe ſiſtiren und in kürzern oder längern Paroxismen ſich in fremden Tönen, Worten, Geberden und Bewegungen, mei- ſtens ſpöttiſcher, ruchloſer und gewaltſamer Art, vernehmen laſſen. Dieſe Definition iſt von den vorausgehenden Geſchichten gerechtfertigt. Bey dem Mädchen von Orlach iſt es ein in der Geſtalt eines Mönchs erſcheinender Geiſt, der ſchon 400 Jahre an den Ort ſeiner Verbrechen gebannt war und die gleichen ruchloſen Geſinnungen und blasphemiſchen Reden äußerte, wie er ſie im Leben mag gehabt haben. Lange drohte er

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Zitationshilfe: Kerner, Justinus: Geschichten Besessener neuerer Zeit. Karlsruhe, 1834, S. 136. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kerner_besessene_1834/150>, abgerufen am 21.11.2024.