Kerner, Justinus: Geschichten Besessener neuerer Zeit. Karlsruhe, 1834.
"da kam ich doch wieder zu einem Leib. Von da an Bey diesen Worten fragte ich: kannst du nicht reuig sagen: Nach einer kleinen Pause traten die heftigsten Convulsionen
„da kam ich doch wieder zu einem Leib. Von da an Bey dieſen Worten fragte ich: kannſt du nicht reuig ſagen: Nach einer kleinen Pauſe traten die heftigſten Convulſionen <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p> <hi rendition="#et"><pb facs="#f0108" n="94"/> „da kam ich doch wieder zu einem Leib. Von da an<lb/> „habe ich die Frau, in die ich fuhr, gar ſehr geplagt.<lb/> „Ich kannte ſie früher ſo gut wie gar nicht, ſie war<lb/> „damals noch ein Kind und um Kinder bekümmerte ich<lb/> „mich nicht, ich kannte eigentlich Niemand als meine<lb/> „Saufbrüder und die Weibsleute, die mit mir einhielten.<lb/> „Auch ließ ihr Vater nicht in meiner Mühle mahlen,<lb/> „er war übrigens gut gegen mich und ein ſehr braver<lb/> „Mann, ich machte ihm auch viel Kummer und Sorgen.<lb/> „Und wie plagte ich nicht die Mutter und die Kinder<lb/> „und den Mann dieſer Frau! Ich konnte nicht anders,<lb/> „ich mußte ſie plagen; aber nicht wahr, es iſt auch große<lb/> „Sünde, daß ich dieſe Menſchen ſo plagte? Ach, wie<lb/> „reut es mich! Ja, jetzt fühle ich erſt mein Unrecht, ich<lb/> „bereue es bitterlich und bitte es ihnen allen demüthig<lb/> „ab. Ach wenn ich nur beten könnte! die Frau kann<lb/> „beten, ich kann es nicht und habe es nie gekonnt.<lb/> „Könnte ich es, ſo könnte ich eine kleine Staffel höher<lb/> „hinauf kommen, und ich dürfte hoffen, nicht immer<lb/> „abgewieſen zu werden.“</hi> </p><lb/> <p>Bey dieſen Worten fragte ich: kannſt du nicht reuig ſagen:<lb/><hi rendition="#g">Gott ſey mir armen Sünder gnädig</hi>? Ja, rief es<lb/> freudig aus der Kranken, ich kann es: und nun ſprach es<lb/> mit unbeſchreiblicher Wehmuth: <hi rendition="#g">Gott ſey mir armen<lb/> Sünder gnädig, er ſtärke mich in meiner Reue<lb/> und Buße, und laſſe mich Gnade finden</hi>!“</p><lb/> <p>Nach einer kleinen Pauſe traten die heftigſten Convulſionen<lb/> mit Brüllen und Blaſen, und dann, nach dreymaliger Un-<lb/> brechung, der dreymalige Scheintodt ein, wie oben ſchon<lb/> erwähnt wurde. Die Kranke erwachte, um in ihren natür-<lb/> lichen Zuſtand überzugehen, ſie fühlte ſich frey und lobte<lb/> und dankte Gott. Spät am Abend deſſelben Tages ſprachen<lb/> Kerner und ich zuſammen in Gegenwart der Frau von Ge-<lb/> genſtänden, welche auf dieſelbe gar keine Beziehung hatten.<lb/> Kerner ergriff eine ſich darbietende Gegelegenheit, die Frau<lb/> zu fragen, ob man nicht reichen Leuten etwas entziehen<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [94/0108]
„da kam ich doch wieder zu einem Leib. Von da an
„habe ich die Frau, in die ich fuhr, gar ſehr geplagt.
„Ich kannte ſie früher ſo gut wie gar nicht, ſie war
„damals noch ein Kind und um Kinder bekümmerte ich
„mich nicht, ich kannte eigentlich Niemand als meine
„Saufbrüder und die Weibsleute, die mit mir einhielten.
„Auch ließ ihr Vater nicht in meiner Mühle mahlen,
„er war übrigens gut gegen mich und ein ſehr braver
„Mann, ich machte ihm auch viel Kummer und Sorgen.
„Und wie plagte ich nicht die Mutter und die Kinder
„und den Mann dieſer Frau! Ich konnte nicht anders,
„ich mußte ſie plagen; aber nicht wahr, es iſt auch große
„Sünde, daß ich dieſe Menſchen ſo plagte? Ach, wie
„reut es mich! Ja, jetzt fühle ich erſt mein Unrecht, ich
„bereue es bitterlich und bitte es ihnen allen demüthig
„ab. Ach wenn ich nur beten könnte! die Frau kann
„beten, ich kann es nicht und habe es nie gekonnt.
„Könnte ich es, ſo könnte ich eine kleine Staffel höher
„hinauf kommen, und ich dürfte hoffen, nicht immer
„abgewieſen zu werden.“
Bey dieſen Worten fragte ich: kannſt du nicht reuig ſagen:
Gott ſey mir armen Sünder gnädig? Ja, rief es
freudig aus der Kranken, ich kann es: und nun ſprach es
mit unbeſchreiblicher Wehmuth: Gott ſey mir armen
Sünder gnädig, er ſtärke mich in meiner Reue
und Buße, und laſſe mich Gnade finden!“
Nach einer kleinen Pauſe traten die heftigſten Convulſionen
mit Brüllen und Blaſen, und dann, nach dreymaliger Un-
brechung, der dreymalige Scheintodt ein, wie oben ſchon
erwähnt wurde. Die Kranke erwachte, um in ihren natür-
lichen Zuſtand überzugehen, ſie fühlte ſich frey und lobte
und dankte Gott. Spät am Abend deſſelben Tages ſprachen
Kerner und ich zuſammen in Gegenwart der Frau von Ge-
genſtänden, welche auf dieſelbe gar keine Beziehung hatten.
Kerner ergriff eine ſich darbietende Gegelegenheit, die Frau
zu fragen, ob man nicht reichen Leuten etwas entziehen
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