Kerner, Justinus: Geschichten Besessener neuerer Zeit. Karlsruhe, 1834.stande ist es, daß ihr eine Stimme, welche sie ihren Schutz- ſtande iſt es, daß ihr eine Stimme, welche ſie ihren Schutz- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0100" n="86"/> ſtande iſt es, daß ihr eine Stimme, welche ſie ihren Schutz-<lb/> geiſt nennt, der aber Andern unvernehmbar iſt, ſagt, wie<lb/> es um den böſen Geiſt in ihr ſtehe, ob dieſer noch dabey<lb/> beharre, in ihrem Körper zu bleiben und ſie zu plagen, ob<lb/> er ſelbſt noch der eigenen Beſſerung widerſtrebe, — ob<lb/> die Beſſerung, die er zuweilen zeigte, nur ſcheinbar und er-<lb/> heuchelt, oder ob ſie wahrhaft ſey, — was ſie genießen dürfe<lb/> oder nicht, um dem Dämon den Aufenthalt in ihr unan-<lb/> genehm zu machen. Dieſer erſchien ihr in der Configuration<lb/> einer Weſpe, und ſie geſtattet deßwegen nicht, daß man<lb/> ihr etwas Süßes und Nahrhaftes reiche. Wein oder Bier<lb/> verweigert ſie und genießt nichts, als magere Waſſerſuppe<lb/> und ſaure in Waſſer gekochte Aepfel nebſt etwas Brod.<lb/> Das Faſten bis zur äußerſten Nothdurft ſcheint ſie ſich über-<lb/> haupt zum Grundſatz gemacht zu haben. Im <hi rendition="#g">dämoniſchen</hi><lb/> Zuſtande oder in dem Ausbruche der Beſeſſenheit ſpricht<lb/> die Kranke ſtets von ſich als von einer dritten Perſon,<lb/> zu der man nicht reden darf, wenn man verſtanden ſeyn<lb/> will, vielmehr muß man den Dämon ſelber anreden. In<lb/> dieſem Zuſtande ſind die Augen feſt geſchloſſen, das Geſicht<lb/> fratzenhaft, oft über allen Ausdruk ſcheußlich verzerrt, der<lb/> Ton der Stimme widerlich, gellend und in tiefen kräch-<lb/> zenden Lauten ſchreiend, die Worte durchaus pöbelhaft,<lb/> der Inhalt der Rede bald ſchadenfroh, bald Gott und die<lb/> Welt verfluchend, bald den Arzt, bald die Kranke ſelbſt<lb/> fürchterlich bedrohend mit dem hartnäckigſten Vorſatz, den Kör-<lb/> per der Frau nicht verlaſſen und ſie mit ihren Angehörigen<lb/> immer mehr plagen zu wollen; ſo mußte die Frau einſt, ge-<lb/> trieben vom Dämon, ihr liebſtes Kind ſchlagen, als es bey<lb/> einem ſolchen Anfalle neben der Mutter hinkniete, um für ſie zu<lb/> beten. Am ſchauderhafteſten mußte ſich die Arme geberden,<lb/> wenn ſie während der Anfälle einnehmen oder ſich einreiben<lb/> laſſen ſollte; ſie bedrohte, mit den Händen ausſchlagend, Jeden,<lb/> der ſich ihr mit ſolchen Mitteln näherte, ſchimpfte und ſchmä-<lb/> hete in den allerniedrigſten Ausdrücken, der Körper wurde<lb/> dann wie in einem Bogen, mit dem Unterleib in der Höhe<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [86/0100]
ſtande iſt es, daß ihr eine Stimme, welche ſie ihren Schutz-
geiſt nennt, der aber Andern unvernehmbar iſt, ſagt, wie
es um den böſen Geiſt in ihr ſtehe, ob dieſer noch dabey
beharre, in ihrem Körper zu bleiben und ſie zu plagen, ob
er ſelbſt noch der eigenen Beſſerung widerſtrebe, — ob
die Beſſerung, die er zuweilen zeigte, nur ſcheinbar und er-
heuchelt, oder ob ſie wahrhaft ſey, — was ſie genießen dürfe
oder nicht, um dem Dämon den Aufenthalt in ihr unan-
genehm zu machen. Dieſer erſchien ihr in der Configuration
einer Weſpe, und ſie geſtattet deßwegen nicht, daß man
ihr etwas Süßes und Nahrhaftes reiche. Wein oder Bier
verweigert ſie und genießt nichts, als magere Waſſerſuppe
und ſaure in Waſſer gekochte Aepfel nebſt etwas Brod.
Das Faſten bis zur äußerſten Nothdurft ſcheint ſie ſich über-
haupt zum Grundſatz gemacht zu haben. Im dämoniſchen
Zuſtande oder in dem Ausbruche der Beſeſſenheit ſpricht
die Kranke ſtets von ſich als von einer dritten Perſon,
zu der man nicht reden darf, wenn man verſtanden ſeyn
will, vielmehr muß man den Dämon ſelber anreden. In
dieſem Zuſtande ſind die Augen feſt geſchloſſen, das Geſicht
fratzenhaft, oft über allen Ausdruk ſcheußlich verzerrt, der
Ton der Stimme widerlich, gellend und in tiefen kräch-
zenden Lauten ſchreiend, die Worte durchaus pöbelhaft,
der Inhalt der Rede bald ſchadenfroh, bald Gott und die
Welt verfluchend, bald den Arzt, bald die Kranke ſelbſt
fürchterlich bedrohend mit dem hartnäckigſten Vorſatz, den Kör-
per der Frau nicht verlaſſen und ſie mit ihren Angehörigen
immer mehr plagen zu wollen; ſo mußte die Frau einſt, ge-
trieben vom Dämon, ihr liebſtes Kind ſchlagen, als es bey
einem ſolchen Anfalle neben der Mutter hinkniete, um für ſie zu
beten. Am ſchauderhafteſten mußte ſich die Arme geberden,
wenn ſie während der Anfälle einnehmen oder ſich einreiben
laſſen ſollte; ſie bedrohte, mit den Händen ausſchlagend, Jeden,
der ſich ihr mit ſolchen Mitteln näherte, ſchimpfte und ſchmä-
hete in den allerniedrigſten Ausdrücken, der Körper wurde
dann wie in einem Bogen, mit dem Unterleib in der Höhe
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