Kempelen, Wolfgang von: Mechanismus der menschlichen Sprache. Wien, 1791.über den Ursprung der Sprachen. sollte sie heute nicht mehr auf dem alten Erdballzu finden seyn? Jst sie dem Menschen wirklich an- erschaffen worden, wie hat er sie verlieren -- wie verändern können? Wer kann den Umlauf seines Geblüts ändern? -- Wäre wohl die eingegebene Sprache minder das Werk des Schöpfers, minder dauerhaft, als unser Pulsschlag gewesen? Hat Gott eine Sprache in des Menschen Natur gelegt, hat er das zur Geselligkeit bestimmte Geschöpf mit dieser Haupterforderniß dazu schon ganz ausgerüstet aus seiner Hand gelassen, so müßte sich diese anerschaf- fene Gabe, so wie alle übrige körperliche Eigen- schaften mit ihm fortgepflanzt haben, wie das Ge- schrey der Thiere. Ein Mensch, der sich in seiner Kindheit in Wildnissen verirrt hat, müßte bey rei- feren Jahren, wenn er wieder zu Menschen käme, von sich selbst, und ohne sie erst zu lernen, fertig sprechen. Der Haushahn krähet heute noch, wie er vor tausend Jahren gekrähet hat, der weiße Papa- gay chen, Jac. Hugo der lateinischen, Petr. Ericus der Griechischen, ja Stiernholm, und Rudbeck sogar der Schwedischen den Vorzug ein. D
uͤber den Urſprung der Sprachen. ſollte ſie heute nicht mehr auf dem alten Erdballzu finden ſeyn? Jſt ſie dem Menſchen wirklich an- erſchaffen worden, wie hat er ſie verlieren — wie veraͤndern koͤnnen? Wer kann den Umlauf ſeines Gebluͤts aͤndern? — Waͤre wohl die eingegebene Sprache minder das Werk des Schoͤpfers, minder dauerhaft, als unſer Pulsſchlag geweſen? Hat Gott eine Sprache in des Menſchen Natur gelegt, hat er das zur Geſelligkeit beſtimmte Geſchoͤpf mit dieſer Haupterforderniß dazu ſchon ganz ausgeruͤſtet aus ſeiner Hand gelaſſen, ſo muͤßte ſich dieſe anerſchaf- fene Gabe, ſo wie alle uͤbrige koͤrperliche Eigen- ſchaften mit ihm fortgepflanzt haben, wie das Ge- ſchrey der Thiere. Ein Menſch, der ſich in ſeiner Kindheit in Wildniſſen verirrt hat, muͤßte bey rei- feren Jahren, wenn er wieder zu Menſchen kaͤme, von ſich ſelbſt, und ohne ſie erſt zu lernen, fertig ſprechen. Der Haushahn kraͤhet heute noch, wie er vor tauſend Jahren gekraͤhet hat, der weiße Papa- gay chen, Jac. Hugo der lateiniſchen, Petr. Ericus der Griechiſchen, ja Stiernholm, und Rudbeck ſogar der Schwediſchen den Vorzug ein. D
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uͤber den Urſprung der Sprachen.
ſollte ſie heute nicht mehr auf dem alten Erdball
zu finden ſeyn? Jſt ſie dem Menſchen wirklich an-
erſchaffen worden, wie hat er ſie verlieren — wie
veraͤndern koͤnnen? Wer kann den Umlauf ſeines
Gebluͤts aͤndern? — Waͤre wohl die eingegebene
Sprache minder das Werk des Schoͤpfers, minder
dauerhaft, als unſer Pulsſchlag geweſen? Hat Gott
eine Sprache in des Menſchen Natur gelegt, hat er
das zur Geſelligkeit beſtimmte Geſchoͤpf mit dieſer
Haupterforderniß dazu ſchon ganz ausgeruͤſtet aus
ſeiner Hand gelaſſen, ſo muͤßte ſich dieſe anerſchaf-
fene Gabe, ſo wie alle uͤbrige koͤrperliche Eigen-
ſchaften mit ihm fortgepflanzt haben, wie das Ge-
ſchrey der Thiere. Ein Menſch, der ſich in ſeiner
Kindheit in Wildniſſen verirrt hat, muͤßte bey rei-
feren Jahren, wenn er wieder zu Menſchen kaͤme,
von ſich ſelbſt, und ohne ſie erſt zu lernen, fertig
ſprechen. Der Haushahn kraͤhet heute noch, wie er
vor tauſend Jahren gekraͤhet hat, der weiße Papa-
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(*) chen, Jac. Hugo der lateiniſchen, Petr. Ericus der
Griechiſchen, ja Stiernholm, und Rudbeck ſogar der
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