Kempelen, Wolfgang von: Mechanismus der menschlichen Sprache. Wien, 1791.Von den Werkzeugen der Sprache. die Zunge sich mit ihrer Spitze an die Wurzel derunteren Zähne, mit ihrem Rücken aber bey b. an den Gaumen anlegt so, daß in der Mitte noch ei- ne kleine Rinne offen bleibt, so wird die Luft zwi- schen dem Gewölbe des Gaumen und der nach dem- selben abgepaßten Zungenspitze auf die Schneide der unteren Zähne hingeleitet, und durch diese gleich- sam in zwey Theile zerschnitten, woraus denn der säuslende Laut des Buchstabens s. entstehet. Es ist für diesen und alle ähnliche Laute besser, wenn der Mund aller Zähne beraubt ist, als wenn ihm nur einige Schneidezähne fehlen, denn in dem ersten Falle vertritt das durchaus ebene Zahnfleisch einiger- massen die Stelle der Zähne, in dem letzteren aber wird durch die Lücken eine gewaltige Verwirrung aller Zischlaute angerichtet, wie man es an Kindern wahrnimmt, die schon ganz gut gesprochen haben, aber so, wie ihnen die Milchzähne ausfallen, eine andere verstimmelte Aussprache bekommen(*). §. 87. (*) Durch diesen Umstand mag wohl Amman verlei-
tet worden seyn zu glauben, daß das s. dadurch ent- stehe, daß die Luft durch die Zwischenräume der Zäh- Von den Werkzeugen der Sprache. die Zunge ſich mit ihrer Spitze an die Wurzel derunteren Zaͤhne, mit ihrem Ruͤcken aber bey b. an den Gaumen anlegt ſo, daß in der Mitte noch ei- ne kleine Rinne offen bleibt, ſo wird die Luft zwi- ſchen dem Gewoͤlbe des Gaumen und der nach dem- ſelben abgepaßten Zungenſpitze auf die Schneide der unteren Zaͤhne hingeleitet, und durch dieſe gleich- ſam in zwey Theile zerſchnitten, woraus denn der ſaͤuſlende Laut des Buchſtabens s. entſtehet. Es iſt fuͤr dieſen und alle aͤhnliche Laute beſſer, wenn der Mund aller Zaͤhne beraubt iſt, als wenn ihm nur einige Schneidezaͤhne fehlen, denn in dem erſten Falle vertritt das durchaus ebene Zahnfleiſch einiger- maſſen die Stelle der Zaͤhne, in dem letzteren aber wird durch die Luͤcken eine gewaltige Verwirrung aller Ziſchlaute angerichtet, wie man es an Kindern wahrnimmt, die ſchon ganz gut geſprochen haben, aber ſo, wie ihnen die Milchzaͤhne ausfallen, eine andere verſtimmelte Ausſprache bekommen(*). §. 87. (*) Durch dieſen Umſtand mag wohl Amman verlei-
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Von den Werkzeugen der Sprache.
die Zunge ſich mit ihrer Spitze an die Wurzel der
unteren Zaͤhne, mit ihrem Ruͤcken aber bey b. an
den Gaumen anlegt ſo, daß in der Mitte noch ei-
ne kleine Rinne offen bleibt, ſo wird die Luft zwi-
ſchen dem Gewoͤlbe des Gaumen und der nach dem-
ſelben abgepaßten Zungenſpitze auf die Schneide der
unteren Zaͤhne hingeleitet, und durch dieſe gleich-
ſam in zwey Theile zerſchnitten, woraus denn der
ſaͤuſlende Laut des Buchſtabens s. entſtehet. Es iſt
fuͤr dieſen und alle aͤhnliche Laute beſſer, wenn der
Mund aller Zaͤhne beraubt iſt, als wenn ihm nur
einige Schneidezaͤhne fehlen, denn in dem erſten
Falle vertritt das durchaus ebene Zahnfleiſch einiger-
maſſen die Stelle der Zaͤhne, in dem letzteren aber
wird durch die Luͤcken eine gewaltige Verwirrung
aller Ziſchlaute angerichtet, wie man es an Kindern
wahrnimmt, die ſchon ganz gut geſprochen haben,
aber ſo, wie ihnen die Milchzaͤhne ausfallen, eine
andere verſtimmelte Ausſprache bekommen (*).
§. 87.
(*) Durch dieſen Umſtand mag wohl Amman verlei-
tet worden ſeyn zu glauben, daß das s. dadurch ent-
ſtehe, daß die Luft durch die Zwiſchenraͤume der Zaͤh-
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