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Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882.

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"Nun ist es aus," sagte sie endlich, indem sie den
Kopf auf die Hände stützte; "und ich war so vergnügt!"

"Wie so? was will das sagen, liebes Kind? Bin ich
Dir zuwider, oder ist sonst etwas im Wege, das Dich
bedrängt und hindert?" rief Erwin und legte unwillkürlich
den Arm um sie, wie um sie zu schützen und aufrecht zu
halten. Aber sie legte seinen Arm leidvoll und entschieden
weg und fing an zu weinen.

Sei es nun, daß sie in ihrer geringen und aus trüben
Quellen geschöpften Weltkenntniß den Augenblick gekommen
wähnte, wo ein geliebter Mann sich mit einem Heiraths¬
versprechen versündigte, das ja niemals ernst gemeint sein
konnte; sei es, daß sie es für ihre Pflicht hielt, einem
ernsten Antrag zu widerstehen, indem sie sich als Gattin
eines vornehmen Herrn unmöglich dachte; oder sei es
endlich, daß sie schon um ihrer Familienverhältnisse willen,
die schlimmer waren, als sie bisher geoffenbart, sich scheute,
den fremden Mann, der so glücklich lebte, an sich zu binden:
sie wußte sich nicht zu helfen und schüttelte nur den Kopf.

"Ich glaubte, Du seiest mir ein wenig gut!" sagte
Erwin kleinlaut und betroffen.

"Es war nicht recht von mir," rief sie schluchzend,
"es auch einmal ein bischen gut haben und etwa ein
Stündchen ungestraft bei Einem sitzen zu wollen, den ich
so gern habe! Mehr wollte ich ja nicht! Nun ist es
vorbei und ich muß gehen!"

Sie stand gewaltsam auf, zündete das Lämpchen an

„Nun iſt es aus,“ ſagte ſie endlich, indem ſie den
Kopf auf die Hände ſtützte; „und ich war ſo vergnügt!“

„Wie ſo? was will das ſagen, liebes Kind? Bin ich
Dir zuwider, oder iſt ſonſt etwas im Wege, das Dich
bedrängt und hindert?“ rief Erwin und legte unwillkürlich
den Arm um ſie, wie um ſie zu ſchützen und aufrecht zu
halten. Aber ſie legte ſeinen Arm leidvoll und entſchieden
weg und fing an zu weinen.

Sei es nun, daß ſie in ihrer geringen und aus trüben
Quellen geſchöpften Weltkenntniß den Augenblick gekommen
wähnte, wo ein geliebter Mann ſich mit einem Heiraths¬
verſprechen verſündigte, das ja niemals ernſt gemeint ſein
konnte; ſei es, daß ſie es für ihre Pflicht hielt, einem
ernſten Antrag zu widerſtehen, indem ſie ſich als Gattin
eines vornehmen Herrn unmöglich dachte; oder ſei es
endlich, daß ſie ſchon um ihrer Familienverhältniſſe willen,
die ſchlimmer waren, als ſie bisher geoffenbart, ſich ſcheute,
den fremden Mann, der ſo glücklich lebte, an ſich zu binden:
ſie wußte ſich nicht zu helfen und ſchüttelte nur den Kopf.

„Ich glaubte, Du ſeieſt mir ein wenig gut!“ ſagte
Erwin kleinlaut und betroffen.

„Es war nicht recht von mir,“ rief ſie ſchluchzend,
„es auch einmal ein bischen gut haben und etwa ein
Stündchen ungeſtraft bei Einem ſitzen zu wollen, den ich
ſo gern habe! Mehr wollte ich ja nicht! Nun iſt es
vorbei und ich muß gehen!“

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[89/0099] „Nun iſt es aus,“ ſagte ſie endlich, indem ſie den Kopf auf die Hände ſtützte; „und ich war ſo vergnügt!“ „Wie ſo? was will das ſagen, liebes Kind? Bin ich Dir zuwider, oder iſt ſonſt etwas im Wege, das Dich bedrängt und hindert?“ rief Erwin und legte unwillkürlich den Arm um ſie, wie um ſie zu ſchützen und aufrecht zu halten. Aber ſie legte ſeinen Arm leidvoll und entſchieden weg und fing an zu weinen. Sei es nun, daß ſie in ihrer geringen und aus trüben Quellen geſchöpften Weltkenntniß den Augenblick gekommen wähnte, wo ein geliebter Mann ſich mit einem Heiraths¬ verſprechen verſündigte, das ja niemals ernſt gemeint ſein konnte; ſei es, daß ſie es für ihre Pflicht hielt, einem ernſten Antrag zu widerſtehen, indem ſie ſich als Gattin eines vornehmen Herrn unmöglich dachte; oder ſei es endlich, daß ſie ſchon um ihrer Familienverhältniſſe willen, die ſchlimmer waren, als ſie bisher geoffenbart, ſich ſcheute, den fremden Mann, der ſo glücklich lebte, an ſich zu binden: ſie wußte ſich nicht zu helfen und ſchüttelte nur den Kopf. „Ich glaubte, Du ſeieſt mir ein wenig gut!“ ſagte Erwin kleinlaut und betroffen. „Es war nicht recht von mir,“ rief ſie ſchluchzend, „es auch einmal ein bischen gut haben und etwa ein Stündchen ungeſtraft bei Einem ſitzen zu wollen, den ich ſo gern habe! Mehr wollte ich ja nicht! Nun iſt es vorbei und ich muß gehen!“ Sie ſtand gewaltſam auf, zündete das Lämpchen an

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882, S. 89. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_sinngedicht_1882/99>, abgerufen am 24.11.2024.