Tropf hielt, der sein Lebensglück leichtsinnig vernichtet habe, und er bedauerte sich selbst; so bald sie sich aber sehen ließ, schlug ihre Schönheit solche Gedanken aus dem Felde, da er mit seinem leeren Kopfe nur dem Augenblick lebte. Salome aber, die sich überall verkauft und ver¬ rathen sah und nichts Gutes ahnte, suchte sich um so ängstlicher an die Hauptsache, nämlich an den Bräutigam zu halten und ihn mit vermehrten Liebkosungen zu fesseln; denn sie hatte keine andere Münze mehr auszugeben, und sobald sie aufhörten, sich zu schnäbeln, stand die Unter¬ haltung still zwischen diesen Leutchen, die sonst so rüstig an der Spitze gestanden hatten.
Salome verspürte keine Ahnung, daß die Beschaffen¬ heit ihres Geistes, ihrer Klugheit in Frage gestellt war; sie schrieb den obwaltenden Unstern einzig ihrer ländlichen Herkunft und dem übeln Willen der Städter zu. Sie hüllte sich daher in ihr Bewußtsein, dachte, wenn sie nur erst Frau wäre, so wollte sie ihre Trümpfe schon wieder ausspielen, und hielt sich inzwischen an den Liebsten, um seiner Neigung sicher zu bleiben.
Da saßen sie nun eines schönen Nachmittags auch auf einem seidenen Sopha oder Divan, Salome in einem kirschrothen Seidenkleide, das sie selbst gekauft, mit dicken goldenen Armspangen, die ihr Drogo geschenkt, und in echten Spitzen, die von ihrer Schwiegermutter herrührten, Drogo aber im neuesten Aufputz eines Modeherren. Der¬ gestalt hielten sie sich umfangen und gaben so dem Ansehen
Tropf hielt, der ſein Lebensglück leichtſinnig vernichtet habe, und er bedauerte ſich ſelbſt; ſo bald ſie ſich aber ſehen ließ, ſchlug ihre Schönheit ſolche Gedanken aus dem Felde, da er mit ſeinem leeren Kopfe nur dem Augenblick lebte. Salome aber, die ſich überall verkauft und ver¬ rathen ſah und nichts Gutes ahnte, ſuchte ſich um ſo ängſtlicher an die Hauptſache, nämlich an den Bräutigam zu halten und ihn mit vermehrten Liebkoſungen zu feſſeln; denn ſie hatte keine andere Münze mehr auszugeben, und ſobald ſie aufhörten, ſich zu ſchnäbeln, ſtand die Unter¬ haltung ſtill zwiſchen dieſen Leutchen, die ſonſt ſo rüſtig an der Spitze geſtanden hatten.
Salome verſpürte keine Ahnung, daß die Beſchaffen¬ heit ihres Geiſtes, ihrer Klugheit in Frage geſtellt war; ſie ſchrieb den obwaltenden Unſtern einzig ihrer ländlichen Herkunft und dem übeln Willen der Städter zu. Sie hüllte ſich daher in ihr Bewußtſein, dachte, wenn ſie nur erſt Frau wäre, ſo wollte ſie ihre Trümpfe ſchon wieder ausſpielen, und hielt ſich inzwiſchen an den Liebſten, um ſeiner Neigung ſicher zu bleiben.
Da ſaßen ſie nun eines ſchönen Nachmittags auch auf einem ſeidenen Sopha oder Divan, Salome in einem kirſchrothen Seidenkleide, das ſie ſelbſt gekauft, mit dicken goldenen Armſpangen, die ihr Drogo geſchenkt, und in echten Spitzen, die von ihrer Schwiegermutter herrührten, Drogo aber im neueſten Aufputz eines Modeherren. Der¬ geſtalt hielten ſie ſich umfangen und gaben ſo dem Anſehen
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0067"n="57"/>
Tropf hielt, der ſein Lebensglück leichtſinnig vernichtet<lb/>
habe, und er bedauerte ſich ſelbſt; ſo bald ſie ſich aber<lb/>ſehen ließ, ſchlug ihre Schönheit ſolche Gedanken aus dem<lb/>
Felde, da er mit ſeinem leeren Kopfe nur dem Augenblick<lb/>
lebte. Salome aber, die ſich überall verkauft und ver¬<lb/>
rathen ſah und nichts Gutes ahnte, ſuchte ſich um ſo<lb/>
ängſtlicher an die Hauptſache, nämlich an den Bräutigam<lb/>
zu halten und ihn mit vermehrten Liebkoſungen zu feſſeln;<lb/>
denn ſie hatte keine andere Münze mehr auszugeben, und<lb/>ſobald ſie aufhörten, ſich zu ſchnäbeln, ſtand die Unter¬<lb/>
haltung ſtill zwiſchen dieſen Leutchen, die ſonſt ſo rüſtig<lb/>
an der Spitze geſtanden hatten.</p><lb/><p>Salome verſpürte keine Ahnung, daß die Beſchaffen¬<lb/>
heit ihres Geiſtes, ihrer Klugheit in Frage geſtellt war;<lb/>ſie ſchrieb den obwaltenden Unſtern einzig ihrer ländlichen<lb/>
Herkunft und dem übeln Willen der Städter zu. Sie<lb/>
hüllte ſich daher in ihr Bewußtſein, dachte, wenn ſie nur<lb/>
erſt Frau wäre, ſo wollte ſie ihre Trümpfe ſchon wieder<lb/>
ausſpielen, und hielt ſich inzwiſchen an den Liebſten, um<lb/>ſeiner Neigung ſicher zu bleiben.</p><lb/><p>Da ſaßen ſie nun eines ſchönen Nachmittags auch auf<lb/>
einem ſeidenen Sopha oder Divan, Salome in einem<lb/>
kirſchrothen Seidenkleide, das ſie ſelbſt gekauft, mit dicken<lb/>
goldenen Armſpangen, die ihr Drogo geſchenkt, und in<lb/>
echten Spitzen, die von ihrer Schwiegermutter herrührten,<lb/>
Drogo aber im neueſten Aufputz eines Modeherren. Der¬<lb/>
geſtalt hielten ſie ſich umfangen und gaben ſo dem Anſehen<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[57/0067]
Tropf hielt, der ſein Lebensglück leichtſinnig vernichtet
habe, und er bedauerte ſich ſelbſt; ſo bald ſie ſich aber
ſehen ließ, ſchlug ihre Schönheit ſolche Gedanken aus dem
Felde, da er mit ſeinem leeren Kopfe nur dem Augenblick
lebte. Salome aber, die ſich überall verkauft und ver¬
rathen ſah und nichts Gutes ahnte, ſuchte ſich um ſo
ängſtlicher an die Hauptſache, nämlich an den Bräutigam
zu halten und ihn mit vermehrten Liebkoſungen zu feſſeln;
denn ſie hatte keine andere Münze mehr auszugeben, und
ſobald ſie aufhörten, ſich zu ſchnäbeln, ſtand die Unter¬
haltung ſtill zwiſchen dieſen Leutchen, die ſonſt ſo rüſtig
an der Spitze geſtanden hatten.
Salome verſpürte keine Ahnung, daß die Beſchaffen¬
heit ihres Geiſtes, ihrer Klugheit in Frage geſtellt war;
ſie ſchrieb den obwaltenden Unſtern einzig ihrer ländlichen
Herkunft und dem übeln Willen der Städter zu. Sie
hüllte ſich daher in ihr Bewußtſein, dachte, wenn ſie nur
erſt Frau wäre, ſo wollte ſie ihre Trümpfe ſchon wieder
ausſpielen, und hielt ſich inzwiſchen an den Liebſten, um
ſeiner Neigung ſicher zu bleiben.
Da ſaßen ſie nun eines ſchönen Nachmittags auch auf
einem ſeidenen Sopha oder Divan, Salome in einem
kirſchrothen Seidenkleide, das ſie ſelbſt gekauft, mit dicken
goldenen Armſpangen, die ihr Drogo geſchenkt, und in
echten Spitzen, die von ihrer Schwiegermutter herrührten,
Drogo aber im neueſten Aufputz eines Modeherren. Der¬
geſtalt hielten ſie ſich umfangen und gaben ſo dem Anſehen
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882, S. 57. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_sinngedicht_1882/67>, abgerufen am 26.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.