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Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882.

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heimlich zusammen wären; er nannte wiederholt ihren
Namen mit seiner eigenen halblauten Stimme, und dann
den seinigen mit verstelltem Lispeln; die süßesten Wörtchen
ertönten, Seufzer, und endlich fiel ein deutlicher Kuß,
welchem bald ein zweiter folgte, dann mehrere, die sich
zuletzt in einen förmlichen Küsseregen verloren, von zärt¬
lichen Worten unterbrochen, so daß die Lauscher sich
anstießen, vor Kichern ersticken wollten und dann wieder
aufmerksam horchten, wie die Sperber.

Nun saß der gute Herr Drogo mit seinen Possen
keineswegs allein in der Laube; vielmehr saß niemand
anders, als die Salome, auch darin, in eine Ecke gedrückt.
Sie war nämlich nicht zu Bett, sondern hieher gegangen,
um sich ein wenig zu grämen, da die dämliche Unbestimmt¬
heit ihres Schicksals sie doch zu quälen begann, und sie
weinte sogar ganz gelinde, eben als der Possenreißer an¬
kam. Sie konnte nicht erkennen, wer es war, und saß
bewegungslos im Winkel, um sich nicht zu verrathen.
Als jedoch die Komödie anfing, errieth sie bald ihren
Widersacher und hörte auch gar wohl die Uebrigen heran¬
schleichen; kurz, da es sich um eine Nichtsnutzigkeit han¬
delte, vermerkte sie endlich den Sinn des ganzen Auftrittes,
während sie etwas Ernsthaftes nicht errathen hätte, und
sie verfiel stracks auf den Gedanken, den Spötter in seinem
eigenen Garne zu fangen, jetzt oder nie!

Als er am eifrigsten dabei war, mit vieler Kunst in
die Luft zu küssen, als ob er die rothen Lippen der

heimlich zuſammen wären; er nannte wiederholt ihren
Namen mit ſeiner eigenen halblauten Stimme, und dann
den ſeinigen mit verſtelltem Liſpeln; die ſüßeſten Wörtchen
ertönten, Seufzer, und endlich fiel ein deutlicher Kuß,
welchem bald ein zweiter folgte, dann mehrere, die ſich
zuletzt in einen förmlichen Küſſeregen verloren, von zärt¬
lichen Worten unterbrochen, ſo daß die Lauſcher ſich
anſtießen, vor Kichern erſticken wollten und dann wieder
aufmerkſam horchten, wie die Sperber.

Nun ſaß der gute Herr Drogo mit ſeinen Poſſen
keineswegs allein in der Laube; vielmehr ſaß niemand
anders, als die Salome, auch darin, in eine Ecke gedrückt.
Sie war nämlich nicht zu Bett, ſondern hieher gegangen,
um ſich ein wenig zu grämen, da die dämliche Unbeſtimmt¬
heit ihres Schickſals ſie doch zu quälen begann, und ſie
weinte ſogar ganz gelinde, eben als der Poſſenreißer an¬
kam. Sie konnte nicht erkennen, wer es war, und ſaß
bewegungslos im Winkel, um ſich nicht zu verrathen.
Als jedoch die Komödie anfing, errieth ſie bald ihren
Widerſacher und hörte auch gar wohl die Uebrigen heran¬
ſchleichen; kurz, da es ſich um eine Nichtsnutzigkeit han¬
delte, vermerkte ſie endlich den Sinn des ganzen Auftrittes,
während ſie etwas Ernſthaftes nicht errathen hätte, und
ſie verfiel ſtracks auf den Gedanken, den Spötter in ſeinem
eigenen Garne zu fangen, jetzt oder nie!

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[53/0063] heimlich zuſammen wären; er nannte wiederholt ihren Namen mit ſeiner eigenen halblauten Stimme, und dann den ſeinigen mit verſtelltem Liſpeln; die ſüßeſten Wörtchen ertönten, Seufzer, und endlich fiel ein deutlicher Kuß, welchem bald ein zweiter folgte, dann mehrere, die ſich zuletzt in einen förmlichen Küſſeregen verloren, von zärt¬ lichen Worten unterbrochen, ſo daß die Lauſcher ſich anſtießen, vor Kichern erſticken wollten und dann wieder aufmerkſam horchten, wie die Sperber. Nun ſaß der gute Herr Drogo mit ſeinen Poſſen keineswegs allein in der Laube; vielmehr ſaß niemand anders, als die Salome, auch darin, in eine Ecke gedrückt. Sie war nämlich nicht zu Bett, ſondern hieher gegangen, um ſich ein wenig zu grämen, da die dämliche Unbeſtimmt¬ heit ihres Schickſals ſie doch zu quälen begann, und ſie weinte ſogar ganz gelinde, eben als der Poſſenreißer an¬ kam. Sie konnte nicht erkennen, wer es war, und ſaß bewegungslos im Winkel, um ſich nicht zu verrathen. Als jedoch die Komödie anfing, errieth ſie bald ihren Widerſacher und hörte auch gar wohl die Uebrigen heran¬ ſchleichen; kurz, da es ſich um eine Nichtsnutzigkeit han¬ delte, vermerkte ſie endlich den Sinn des ganzen Auftrittes, während ſie etwas Ernſthaftes nicht errathen hätte, und ſie verfiel ſtracks auf den Gedanken, den Spötter in ſeinem eigenen Garne zu fangen, jetzt oder nie! Als er am eifrigſten dabei war, mit vieler Kunſt in die Luft zu küſſen, als ob er die rothen Lippen der

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882, S. 53. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_sinngedicht_1882/63>, abgerufen am 25.11.2024.