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Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882.

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mit Bibel, Kelch und Kreuz gesiegelt ist und in welchem
mich meine Freundin im Thale, die Pfarrerstochter, in
den flehendsten Ausdrücken beschwört, ja nicht zu ver¬
gessen, ihr von dem diesjährigen Rettigsamen zu senden!
Wenn Sie in einiger Verfassung sind, sich zu vertheidigen
und Ihre wunderbare Herkunft zu erklären, so sollen Sie
in dieser hochgelegenen Behausung willkommen sein, und
ich, die ich zur Zeit das Wort führe, da mein gichtkranker
Oheim das Zimmer hütet, will ernst und weise mit Ihnen
zu Rath gehen über die fernere Entwicklung Ihres merk¬
würdigen Lebenspfades!"

Nicht nur vom Abglanz der Abendsonne, sondern auch
von einem hellen inneren Lichte war die ziervolle Dame
dermaßen erleuchtet, daß der Schein dem überraschten
Reinhart seine Sicherheit wiedergab. Aber indem er sich
sagte, daß er hier oder nirgends das Sprüchlein des alten
Logau erproben möchte und erst jetzt die tiefere Bedeutung
desselben völlig empfand, merkte er auch, mit welch' weit¬
läufigen Vorarbeiten und Schwierigkeiten der Versuch
verbunden sein dürfte.

[Abbildung]
Keller, Sinngedicht. 3

mit Bibel, Kelch und Kreuz geſiegelt iſt und in welchem
mich meine Freundin im Thale, die Pfarrerstochter, in
den flehendſten Ausdrücken beſchwört, ja nicht zu ver¬
geſſen, ihr von dem diesjährigen Rettigſamen zu ſenden!
Wenn Sie in einiger Verfaſſung ſind, ſich zu vertheidigen
und Ihre wunderbare Herkunft zu erklären, ſo ſollen Sie
in dieſer hochgelegenen Behauſung willkommen ſein, und
ich, die ich zur Zeit das Wort führe, da mein gichtkranker
Oheim das Zimmer hütet, will ernſt und weiſe mit Ihnen
zu Rath gehen über die fernere Entwicklung Ihres merk¬
würdigen Lebenspfades!“

Nicht nur vom Abglanz der Abendſonne, ſondern auch
von einem hellen inneren Lichte war die ziervolle Dame
dermaßen erleuchtet, daß der Schein dem überraſchten
Reinhart ſeine Sicherheit wiedergab. Aber indem er ſich
ſagte, daß er hier oder nirgends das Sprüchlein des alten
Logau erproben möchte und erſt jetzt die tiefere Bedeutung
deſſelben völlig empfand, merkte er auch, mit welch' weit¬
läufigen Vorarbeiten und Schwierigkeiten der Verſuch
verbunden ſein dürfte.

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Keller, Sinngedicht. 3
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[33/0043] mit Bibel, Kelch und Kreuz geſiegelt iſt und in welchem mich meine Freundin im Thale, die Pfarrerstochter, in den flehendſten Ausdrücken beſchwört, ja nicht zu ver¬ geſſen, ihr von dem diesjährigen Rettigſamen zu ſenden! Wenn Sie in einiger Verfaſſung ſind, ſich zu vertheidigen und Ihre wunderbare Herkunft zu erklären, ſo ſollen Sie in dieſer hochgelegenen Behauſung willkommen ſein, und ich, die ich zur Zeit das Wort führe, da mein gichtkranker Oheim das Zimmer hütet, will ernſt und weiſe mit Ihnen zu Rath gehen über die fernere Entwicklung Ihres merk¬ würdigen Lebenspfades!“ Nicht nur vom Abglanz der Abendſonne, ſondern auch von einem hellen inneren Lichte war die ziervolle Dame dermaßen erleuchtet, daß der Schein dem überraſchten Reinhart ſeine Sicherheit wiedergab. Aber indem er ſich ſagte, daß er hier oder nirgends das Sprüchlein des alten Logau erproben möchte und erſt jetzt die tiefere Bedeutung deſſelben völlig empfand, merkte er auch, mit welch' weit¬ läufigen Vorarbeiten und Schwierigkeiten der Verſuch verbunden ſein dürfte. [Abbildung] Keller, Sinngedicht. 3

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882, S. 33. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_sinngedicht_1882/43>, abgerufen am 22.11.2024.