einer bessern Heimat als ich besaß, und diese Sehnsucht machte sich jetzt, ohne daß ich daran etwas ändern konnte mit den wunderlichen Worten Luft:
Vetter Leodegar! Wann wirst Du mich denn heirathen?
Er schwieg erst ein Weilchen, wie um sich auf die Antwort zu besinnen. Dann hob er mein Kinn mit einem Finger empor, daß er mein Gesicht sehen konnte, und das seinige hing mit zärtlichen Augen über mir, indessen der Mund seltsam lächelte.
Endlich sagte er: Du gutes Mädchen, wenn Du erst katholisch bist, wird die Hochzeit sein!
Aber meine Mama ist ja auch nicht protestantisch geworden, sagte ich, und der Papa hat sie doch geheirathet.
In diesem Punkte sind Dein Papa und ich zwei Dinge! erwiderte er nachdenklich, indem er mich zärtlicher an sich zog und einen Kuß auf meine Stirne zu drücken im Begriffe war. Da hörten wir die Schritte und die Stimme der Erzieherin hinter den Bäumen, und Leodegar ließ mich unwillkürlich frei. Dieses Fahrenlassen kam mir kleinem Ungeheuer zu statten; denn eben sträubte ich mich gegen den Kuß. Dennoch gab es dem Abenteuer in meinem Sinne die Weihe des Geheimnisses; ich wußte nun, daß die Leute nichts von dem Vorgange wissen durften, und hielt denselben um so eher für eine heimliche Verlobung.
Der Spaziergang wurde nun auf breiteren Wegen fortgesetzt: erst nach einigen Minuten lachte Leodegar
einer beſſern Heimat als ich beſaß, und dieſe Sehnſucht machte ſich jetzt, ohne daß ich daran etwas ändern konnte mit den wunderlichen Worten Luft:
Vetter Leodegar! Wann wirſt Du mich denn heirathen?
Er ſchwieg erſt ein Weilchen, wie um ſich auf die Antwort zu beſinnen. Dann hob er mein Kinn mit einem Finger empor, daß er mein Geſicht ſehen konnte, und das ſeinige hing mit zärtlichen Augen über mir, indeſſen der Mund ſeltſam lächelte.
Endlich ſagte er: Du gutes Mädchen, wenn Du erſt katholiſch biſt, wird die Hochzeit ſein!
Aber meine Mama iſt ja auch nicht proteſtantiſch geworden, ſagte ich, und der Papa hat ſie doch geheirathet.
In dieſem Punkte ſind Dein Papa und ich zwei Dinge! erwiderte er nachdenklich, indem er mich zärtlicher an ſich zog und einen Kuß auf meine Stirne zu drücken im Begriffe war. Da hörten wir die Schritte und die Stimme der Erzieherin hinter den Bäumen, und Leodegar ließ mich unwillkürlich frei. Dieſes Fahrenlaſſen kam mir kleinem Ungeheuer zu ſtatten; denn eben ſträubte ich mich gegen den Kuß. Dennoch gab es dem Abenteuer in meinem Sinne die Weihe des Geheimniſſes; ich wußte nun, daß die Leute nichts von dem Vorgange wiſſen durften, und hielt denſelben um ſo eher für eine heimliche Verlobung.
Der Spaziergang wurde nun auf breiteren Wegen fortgeſetzt: erſt nach einigen Minuten lachte Leodegar
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0401"n="391"/>
einer beſſern Heimat als ich beſaß, und dieſe Sehnſucht<lb/>
machte ſich jetzt, ohne daß ich daran etwas ändern konnte<lb/>
mit den wunderlichen Worten Luft:</p><lb/><p>Vetter Leodegar! Wann wirſt Du mich denn heirathen?<lb/></p><p>Er ſchwieg erſt ein Weilchen, wie um ſich auf die<lb/>
Antwort zu beſinnen. Dann hob er mein Kinn mit<lb/>
einem Finger empor, daß er mein Geſicht ſehen konnte,<lb/>
und das ſeinige hing mit zärtlichen Augen über mir,<lb/>
indeſſen der Mund ſeltſam lächelte.</p><lb/><p>Endlich ſagte er: Du gutes Mädchen, wenn Du erſt<lb/>
katholiſch biſt, wird die Hochzeit ſein!</p><lb/><p>Aber meine Mama iſt ja auch nicht proteſtantiſch<lb/>
geworden, ſagte ich, und der Papa hat ſie doch geheirathet.<lb/></p><p>In dieſem Punkte ſind Dein Papa und ich zwei<lb/>
Dinge! erwiderte er nachdenklich, indem er mich zärtlicher<lb/>
an ſich zog und einen Kuß auf meine Stirne zu drücken<lb/>
im Begriffe war. Da hörten wir die Schritte und die<lb/>
Stimme der Erzieherin hinter den Bäumen, und Leodegar<lb/>
ließ mich unwillkürlich frei. Dieſes Fahrenlaſſen kam<lb/>
mir kleinem Ungeheuer zu ſtatten; denn eben ſträubte ich<lb/>
mich gegen den Kuß. Dennoch gab es dem Abenteuer<lb/>
in meinem Sinne die Weihe des Geheimniſſes; ich wußte<lb/>
nun, daß die Leute nichts von dem Vorgange wiſſen<lb/>
durften, und hielt denſelben um ſo eher für eine heimliche<lb/>
Verlobung.</p><lb/><p>Der Spaziergang wurde nun auf breiteren Wegen<lb/>
fortgeſetzt: erſt nach einigen Minuten lachte Leodegar<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[391/0401]
einer beſſern Heimat als ich beſaß, und dieſe Sehnſucht
machte ſich jetzt, ohne daß ich daran etwas ändern konnte
mit den wunderlichen Worten Luft:
Vetter Leodegar! Wann wirſt Du mich denn heirathen?
Er ſchwieg erſt ein Weilchen, wie um ſich auf die
Antwort zu beſinnen. Dann hob er mein Kinn mit
einem Finger empor, daß er mein Geſicht ſehen konnte,
und das ſeinige hing mit zärtlichen Augen über mir,
indeſſen der Mund ſeltſam lächelte.
Endlich ſagte er: Du gutes Mädchen, wenn Du erſt
katholiſch biſt, wird die Hochzeit ſein!
Aber meine Mama iſt ja auch nicht proteſtantiſch
geworden, ſagte ich, und der Papa hat ſie doch geheirathet.
In dieſem Punkte ſind Dein Papa und ich zwei
Dinge! erwiderte er nachdenklich, indem er mich zärtlicher
an ſich zog und einen Kuß auf meine Stirne zu drücken
im Begriffe war. Da hörten wir die Schritte und die
Stimme der Erzieherin hinter den Bäumen, und Leodegar
ließ mich unwillkürlich frei. Dieſes Fahrenlaſſen kam
mir kleinem Ungeheuer zu ſtatten; denn eben ſträubte ich
mich gegen den Kuß. Dennoch gab es dem Abenteuer
in meinem Sinne die Weihe des Geheimniſſes; ich wußte
nun, daß die Leute nichts von dem Vorgange wiſſen
durften, und hielt denſelben um ſo eher für eine heimliche
Verlobung.
Der Spaziergang wurde nun auf breiteren Wegen
fortgeſetzt: erſt nach einigen Minuten lachte Leodegar
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882, S. 391. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_sinngedicht_1882/401>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.