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Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882.

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seine Sklavin, die jede Aenderung des Schicksals zu
gewärtigen habe und zum Dienen bestimmt sei. Zuerst
verdrießlich darüber, daß sie in dieser Beziehung das in
Klöstern und unter Geistlichen zugebrachte Jahr gänzlich
verloren, machte er sich selbst zu ihrem Lehrer, so gut
er das mit seinem seemännischen Wesen vermochte. Bald
aber wurden die Stunden, die er über dem Unterricht im
einsamen Schiffsgemache mit der Gattin verlebte, zu
Stunden der schönsten Erbauung. Denn als er ihr
allmählich die Freiheit ihrer Seele begreiflich machte,
Ehre und Recht einer christlichen Ehefrau beschrieb und
ihr die Pflicht des persönlichen Willens und Beschließens
auseinandersetzte, was Alles durch Liebe zusammengehalten
und verklärt werden müsse, da soll es gar schön anzusehen
gewesen sein, wie von Tag zu Tag das Verständniß heller
aufging und die junge Frau mit dem Lichte menschlichen
Bewußtseins erfüllte. Außerdem hörte sie viele ihr bisher
unbekannte Worte, und indem sie dieselben wiederholte
und den Sinn sich anzueignen suchte, bereicherte sie zu¬
gleich im höchsten Sinne ihre neue Sprache.

Eines Tages, als das Geschwader dem Ziele seiner
Fahrt näher kam, erging sich Don Correa mit der Frau
auf dem obersten Verdecke und führte sie in den luftigen
Pavillon, der über dem Stern des Schiffes errichtet war.
Die Zeltdecken schützten hier vor den Sonnenstrahlen und
den Blicken des Schiffsvolkes. Sie schauten still auf den
unendlichen Ocean hinaus, dessen gleichmäßig schimmernde

ſeine Sklavin, die jede Aenderung des Schickſals zu
gewärtigen habe und zum Dienen beſtimmt ſei. Zuerſt
verdrießlich darüber, daß ſie in dieſer Beziehung das in
Klöſtern und unter Geiſtlichen zugebrachte Jahr gänzlich
verloren, machte er ſich ſelbſt zu ihrem Lehrer, ſo gut
er das mit ſeinem ſeemänniſchen Weſen vermochte. Bald
aber wurden die Stunden, die er über dem Unterricht im
einſamen Schiffsgemache mit der Gattin verlebte, zu
Stunden der ſchönſten Erbauung. Denn als er ihr
allmählich die Freiheit ihrer Seele begreiflich machte,
Ehre und Recht einer chriſtlichen Ehefrau beſchrieb und
ihr die Pflicht des perſönlichen Willens und Beſchließens
auseinanderſetzte, was Alles durch Liebe zuſammengehalten
und verklärt werden müſſe, da ſoll es gar ſchön anzuſehen
geweſen ſein, wie von Tag zu Tag das Verſtändniß heller
aufging und die junge Frau mit dem Lichte menſchlichen
Bewußtſeins erfüllte. Außerdem hörte ſie viele ihr bisher
unbekannte Worte, und indem ſie dieſelben wiederholte
und den Sinn ſich anzueignen ſuchte, bereicherte ſie zu¬
gleich im höchſten Sinne ihre neue Sprache.

Eines Tages, als das Geſchwader dem Ziele ſeiner
Fahrt näher kam, erging ſich Don Correa mit der Frau
auf dem oberſten Verdecke und führte ſie in den luftigen
Pavillon, der über dem Stern des Schiffes errichtet war.
Die Zeltdecken ſchützten hier vor den Sonnenſtrahlen und
den Blicken des Schiffsvolkes. Sie ſchauten ſtill auf den
unendlichen Ocean hinaus, deſſen gleichmäßig ſchimmernde

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[342/0352] ſeine Sklavin, die jede Aenderung des Schickſals zu gewärtigen habe und zum Dienen beſtimmt ſei. Zuerſt verdrießlich darüber, daß ſie in dieſer Beziehung das in Klöſtern und unter Geiſtlichen zugebrachte Jahr gänzlich verloren, machte er ſich ſelbſt zu ihrem Lehrer, ſo gut er das mit ſeinem ſeemänniſchen Weſen vermochte. Bald aber wurden die Stunden, die er über dem Unterricht im einſamen Schiffsgemache mit der Gattin verlebte, zu Stunden der ſchönſten Erbauung. Denn als er ihr allmählich die Freiheit ihrer Seele begreiflich machte, Ehre und Recht einer chriſtlichen Ehefrau beſchrieb und ihr die Pflicht des perſönlichen Willens und Beſchließens auseinanderſetzte, was Alles durch Liebe zuſammengehalten und verklärt werden müſſe, da ſoll es gar ſchön anzuſehen geweſen ſein, wie von Tag zu Tag das Verſtändniß heller aufging und die junge Frau mit dem Lichte menſchlichen Bewußtſeins erfüllte. Außerdem hörte ſie viele ihr bisher unbekannte Worte, und indem ſie dieſelben wiederholte und den Sinn ſich anzueignen ſuchte, bereicherte ſie zu¬ gleich im höchſten Sinne ihre neue Sprache. Eines Tages, als das Geſchwader dem Ziele ſeiner Fahrt näher kam, erging ſich Don Correa mit der Frau auf dem oberſten Verdecke und führte ſie in den luftigen Pavillon, der über dem Stern des Schiffes errichtet war. Die Zeltdecken ſchützten hier vor den Sonnenſtrahlen und den Blicken des Schiffsvolkes. Sie ſchauten ſtill auf den unendlichen Ocean hinaus, deſſen gleichmäßig ſchimmernde

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882, S. 342. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_sinngedicht_1882/352>, abgerufen am 25.11.2024.