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Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882.

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die Fahnen eilen mußten, den Abend noch zubringen
wollten, da erhob sich unser Geist zu der Höhe der auf¬
wogenden und rauschenden Vaterlands- und Kampfesfreude.
Wir saßen dicht neben einander in der gedrängten Schar;
und als gegen Mitternacht die Gläser unter dem donnern¬
den Rufe: Tod oder Freiheit! in die Höhe fuhren, da
hielt Mannelin mir sein Glas entgegen und sagte: "Sollte
es so kommen, daß Einer von uns fällt und der Andere
das Weib gewinnt, so soll er leben! Auf sein Glück!"

Nicht minder pathetisch stieß ich an, daß beide Gläser
klirrten, indem ich rief: "Und Friede dem Todten!"

So trennten wir uns als wackere Freunde, und nach
wenigen Stunden fuhren wir auf getrennten Wegen dahin,
ohne daß wir für die Zukunft irgend eine Abrede oder
Bestimmung getroffen hatten. Wie das Kriegsglück wollten
wir auch das Schicksal unserer ungewöhnlichen Liebes¬
geschichte sich selbst überlassen.

Mannelin hatte hellere Sterne, als ich; während ich
noch immer unter Oesterreichs zögernden Standarten harren
mußte, stürmte der blonde Duckmäuser mit seiner Muskete
schon von Schlacht zu Schlacht, und erst auf Leipzigs
Feldern kam ich zum Tanze und athmeten wir den gleichen
Pulverdampf, aber ohne uns zu sehen oder von einander
zu wissen.

Ich kann dem Verlaufe des gewaltigen Feldzuges jetzt
nicht weiter folgen. Auch in Paris traf ich den Freund
nicht, obgleich wir fast gleichzeitig dort einmarschirt waren.

die Fahnen eilen mußten, den Abend noch zubringen
wollten, da erhob ſich unſer Geiſt zu der Höhe der auf¬
wogenden und rauſchenden Vaterlands- und Kampfesfreude.
Wir ſaßen dicht neben einander in der gedrängten Schar;
und als gegen Mitternacht die Gläſer unter dem donnern¬
den Rufe: Tod oder Freiheit! in die Höhe fuhren, da
hielt Mannelin mir ſein Glas entgegen und ſagte: „Sollte
es ſo kommen, daß Einer von uns fällt und der Andere
das Weib gewinnt, ſo ſoll er leben! Auf ſein Glück!“

Nicht minder pathetiſch ſtieß ich an, daß beide Gläſer
klirrten, indem ich rief: „Und Friede dem Todten!“

So trennten wir uns als wackere Freunde, und nach
wenigen Stunden fuhren wir auf getrennten Wegen dahin,
ohne daß wir für die Zukunft irgend eine Abrede oder
Beſtimmung getroffen hatten. Wie das Kriegsglück wollten
wir auch das Schickſal unſerer ungewöhnlichen Liebes¬
geſchichte ſich ſelbſt überlaſſen.

Mannelin hatte hellere Sterne, als ich; während ich
noch immer unter Oeſterreichs zögernden Standarten harren
mußte, ſtürmte der blonde Duckmäuſer mit ſeiner Muskete
ſchon von Schlacht zu Schlacht, und erſt auf Leipzigs
Feldern kam ich zum Tanze und athmeten wir den gleichen
Pulverdampf, aber ohne uns zu ſehen oder von einander
zu wiſſen.

Ich kann dem Verlaufe des gewaltigen Feldzuges jetzt
nicht weiter folgen. Auch in Paris traf ich den Freund
nicht, obgleich wir faſt gleichzeitig dort einmarſchirt waren.

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[229/0239] die Fahnen eilen mußten, den Abend noch zubringen wollten, da erhob ſich unſer Geiſt zu der Höhe der auf¬ wogenden und rauſchenden Vaterlands- und Kampfesfreude. Wir ſaßen dicht neben einander in der gedrängten Schar; und als gegen Mitternacht die Gläſer unter dem donnern¬ den Rufe: Tod oder Freiheit! in die Höhe fuhren, da hielt Mannelin mir ſein Glas entgegen und ſagte: „Sollte es ſo kommen, daß Einer von uns fällt und der Andere das Weib gewinnt, ſo ſoll er leben! Auf ſein Glück!“ Nicht minder pathetiſch ſtieß ich an, daß beide Gläſer klirrten, indem ich rief: „Und Friede dem Todten!“ So trennten wir uns als wackere Freunde, und nach wenigen Stunden fuhren wir auf getrennten Wegen dahin, ohne daß wir für die Zukunft irgend eine Abrede oder Beſtimmung getroffen hatten. Wie das Kriegsglück wollten wir auch das Schickſal unſerer ungewöhnlichen Liebes¬ geſchichte ſich ſelbſt überlaſſen. Mannelin hatte hellere Sterne, als ich; während ich noch immer unter Oeſterreichs zögernden Standarten harren mußte, ſtürmte der blonde Duckmäuſer mit ſeiner Muskete ſchon von Schlacht zu Schlacht, und erſt auf Leipzigs Feldern kam ich zum Tanze und athmeten wir den gleichen Pulverdampf, aber ohne uns zu ſehen oder von einander zu wiſſen. Ich kann dem Verlaufe des gewaltigen Feldzuges jetzt nicht weiter folgen. Auch in Paris traf ich den Freund nicht, obgleich wir faſt gleichzeitig dort einmarſchirt waren.

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882, S. 229. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_sinngedicht_1882/239>, abgerufen am 24.11.2024.