konnte, wenn es nothwendig war, es mochte Tag oder Nacht sein.
Mit großer Duldsamkeit ertrug er meine Vorliebe für das Unerklärliche und Uebersinnliche, das ich fortwährend in allen Dingen herbeizog und anrief, und vertheidigte ohne allen Eifer seinen Standpunkt der Vernunft, wie Einer der es besser weiß, aber es nicht gerade fühlen lassen will. Er war schon von seinem Vater her ein geübter Kantianer und ließ, was darüber hinausging, sich nicht anfechten. Närrischer Weise freute ich mich eigentlich dessen und war seiner Gesinnung und seines Wissens froh, während ich ihn mit phantastischen Reden bekämpfte. Es war mit mir, wie wenn Jemand durch einen verrufenen Wald geht und auf seine Furchtlosigkeit pocht, im Stillen aber sich auf das gute Schießgewehr verläßt, das ein Begleiter mit sich führt. Zuweilen wollte es mir aller¬ dings vorkommen, als ob ich dem Mannelin ein Bischen zum stillen und am Ende gar spaßhaften Studium diente, wie es auf Hochschulen ja immer solche Leimsieder gibt, die für das Geld, das sie ihre Eltern kosten, vor Allem etwas glauben lernen zu sollen und sich allen Ernstes einbilden, sich für so und so viele Zehngroschenstücke selbst Lectionen in der Menschenkenntniß geben zu können. Die Zehngroschenstücke verwenden sie nämlich an einige Flaschen Bier oder Wein, die sie dabei wagen müssen, und sie bringen sie den Vätern unter der Rubrik: "Allgemeines zur Weltbildung" extra in Rechnung. Aber ein solcher
konnte, wenn es nothwendig war, es mochte Tag oder Nacht ſein.
Mit großer Duldſamkeit ertrug er meine Vorliebe für das Unerklärliche und Ueberſinnliche, das ich fortwährend in allen Dingen herbeizog und anrief, und vertheidigte ohne allen Eifer ſeinen Standpunkt der Vernunft, wie Einer der es beſſer weiß, aber es nicht gerade fühlen laſſen will. Er war ſchon von ſeinem Vater her ein geübter Kantianer und ließ, was darüber hinausging, ſich nicht anfechten. Närriſcher Weiſe freute ich mich eigentlich deſſen und war ſeiner Geſinnung und ſeines Wiſſens froh, während ich ihn mit phantaſtiſchen Reden bekämpfte. Es war mit mir, wie wenn Jemand durch einen verrufenen Wald geht und auf ſeine Furchtloſigkeit pocht, im Stillen aber ſich auf das gute Schießgewehr verläßt, das ein Begleiter mit ſich führt. Zuweilen wollte es mir aller¬ dings vorkommen, als ob ich dem Mannelin ein Bischen zum ſtillen und am Ende gar ſpaßhaften Studium diente, wie es auf Hochſchulen ja immer ſolche Leimſieder gibt, die für das Geld, das ſie ihre Eltern koſten, vor Allem etwas glauben lernen zu ſollen und ſich allen Ernſtes einbilden, ſich für ſo und ſo viele Zehngroſchenſtücke ſelbſt Lectionen in der Menſchenkenntniß geben zu können. Die Zehngroſchenſtücke verwenden ſie nämlich an einige Flaſchen Bier oder Wein, die ſie dabei wagen müſſen, und ſie bringen ſie den Vätern unter der Rubrik: „Allgemeines zur Weltbildung“ extra in Rechnung. Aber ein ſolcher
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0232"n="222"/>
konnte, wenn es nothwendig war, es mochte Tag oder<lb/>
Nacht ſein.</p><lb/><p>Mit großer Duldſamkeit ertrug er meine Vorliebe für<lb/>
das Unerklärliche und Ueberſinnliche, das ich fortwährend<lb/>
in allen Dingen herbeizog und anrief, und vertheidigte<lb/>
ohne allen Eifer ſeinen Standpunkt der Vernunft, wie<lb/>
Einer der es beſſer weiß, aber es nicht gerade fühlen<lb/>
laſſen will. Er war ſchon von ſeinem Vater her ein<lb/>
geübter Kantianer und ließ, was darüber hinausging, ſich<lb/>
nicht anfechten. Närriſcher Weiſe freute ich mich eigentlich<lb/>
deſſen und war ſeiner Geſinnung und ſeines Wiſſens froh,<lb/>
während ich ihn mit phantaſtiſchen Reden bekämpfte. Es<lb/>
war mit mir, wie wenn Jemand durch einen verrufenen<lb/>
Wald geht und auf ſeine Furchtloſigkeit pocht, im Stillen<lb/>
aber ſich auf das gute Schießgewehr verläßt, das ein<lb/>
Begleiter mit ſich führt. Zuweilen wollte es mir aller¬<lb/>
dings vorkommen, als ob ich dem Mannelin ein Bischen<lb/>
zum ſtillen und am Ende gar ſpaßhaften Studium diente,<lb/>
wie es auf Hochſchulen ja immer ſolche Leimſieder gibt,<lb/>
die für das Geld, das ſie ihre Eltern koſten, vor Allem<lb/>
etwas glauben lernen zu ſollen und ſich allen Ernſtes<lb/>
einbilden, ſich für ſo und ſo viele Zehngroſchenſtücke ſelbſt<lb/>
Lectionen in der Menſchenkenntniß geben zu können. Die<lb/>
Zehngroſchenſtücke verwenden ſie nämlich an einige Flaſchen<lb/>
Bier oder Wein, die ſie dabei wagen müſſen, und ſie<lb/>
bringen ſie den Vätern unter der Rubrik: „Allgemeines<lb/>
zur Weltbildung“ extra in Rechnung. Aber ein ſolcher<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[222/0232]
konnte, wenn es nothwendig war, es mochte Tag oder
Nacht ſein.
Mit großer Duldſamkeit ertrug er meine Vorliebe für
das Unerklärliche und Ueberſinnliche, das ich fortwährend
in allen Dingen herbeizog und anrief, und vertheidigte
ohne allen Eifer ſeinen Standpunkt der Vernunft, wie
Einer der es beſſer weiß, aber es nicht gerade fühlen
laſſen will. Er war ſchon von ſeinem Vater her ein
geübter Kantianer und ließ, was darüber hinausging, ſich
nicht anfechten. Närriſcher Weiſe freute ich mich eigentlich
deſſen und war ſeiner Geſinnung und ſeines Wiſſens froh,
während ich ihn mit phantaſtiſchen Reden bekämpfte. Es
war mit mir, wie wenn Jemand durch einen verrufenen
Wald geht und auf ſeine Furchtloſigkeit pocht, im Stillen
aber ſich auf das gute Schießgewehr verläßt, das ein
Begleiter mit ſich führt. Zuweilen wollte es mir aller¬
dings vorkommen, als ob ich dem Mannelin ein Bischen
zum ſtillen und am Ende gar ſpaßhaften Studium diente,
wie es auf Hochſchulen ja immer ſolche Leimſieder gibt,
die für das Geld, das ſie ihre Eltern koſten, vor Allem
etwas glauben lernen zu ſollen und ſich allen Ernſtes
einbilden, ſich für ſo und ſo viele Zehngroſchenſtücke ſelbſt
Lectionen in der Menſchenkenntniß geben zu können. Die
Zehngroſchenſtücke verwenden ſie nämlich an einige Flaſchen
Bier oder Wein, die ſie dabei wagen müſſen, und ſie
bringen ſie den Vätern unter der Rubrik: „Allgemeines
zur Weltbildung“ extra in Rechnung. Aber ein ſolcher
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882, S. 222. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_sinngedicht_1882/232>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.