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Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882.

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stehenden Herbergen abzusteigen. So gerieth er auch,
schon viele Meilen unterwegs, in eine Posthalterei, deren
große Gaststube von Reisenden aller Art angefüllt war.
Darunter befanden sich drei lange verwilderte Kerle mit
struppigen Bärten und elenden Kleidern, welche verdorbene
Musikinstrumente bei sich trugen. Brandolf bemerkte, wie
die drei Menschen nach Verhältniß der fortwährend neu¬
ankommenden Gäste mit ihren Branntweingläschen von
Tisch zu Tisch weggedrängt und zuletzt ganz aus der
Stube gewiesen wurden. Murrend aber ohne Widerstand
gingen sie auf den Hof hinaus, stellten sich dort unter
das Vordach eines Holzschuppens und nahmen, wahr¬
scheinlich um sich zu rächen, ihre Instrumente zur Hand.
Aber sie begannen eine so gräßliche Musik hören zu
lassen, daß in der Stube das Publikum zu fluchen anhub
und verlangte, die Kerle sollten schweigen. Ein gut¬
müthiger Krämer sammelte einige Groschen und rothe
Pfennige für die Unglücklichen und brachte ihnen die
kleine Ernte, worauf sie den Lärm einstellten und in
einem Winkel zusammen hockten, um das Nachlassen des
Unwetters abzuwarten. Brandolf fragte einen Aufwärter,
was das für traurige Musikanten seien. Ja, erwiderte
der Bursche, das seien unheimliche und wenig beliebte
Gesellen. Die zwei etwas kürzeren nenne man die
Lohäuser, und der ganz lange heiße nur der schlechte
Schwendtner. Man munkle, es seien drei Junker, die einst
reich gewesen und dann in's Zuchthaus gekommen seien.

ſtehenden Herbergen abzuſteigen. So gerieth er auch,
ſchon viele Meilen unterwegs, in eine Poſthalterei, deren
große Gaſtſtube von Reiſenden aller Art angefüllt war.
Darunter befanden ſich drei lange verwilderte Kerle mit
ſtruppigen Bärten und elenden Kleidern, welche verdorbene
Muſikinſtrumente bei ſich trugen. Brandolf bemerkte, wie
die drei Menſchen nach Verhältniß der fortwährend neu¬
ankommenden Gäſte mit ihren Branntweingläschen von
Tiſch zu Tiſch weggedrängt und zuletzt ganz aus der
Stube gewieſen wurden. Murrend aber ohne Widerſtand
gingen ſie auf den Hof hinaus, ſtellten ſich dort unter
das Vordach eines Holzſchuppens und nahmen, wahr¬
ſcheinlich um ſich zu rächen, ihre Inſtrumente zur Hand.
Aber ſie begannen eine ſo gräßliche Muſik hören zu
laſſen, daß in der Stube das Publikum zu fluchen anhub
und verlangte, die Kerle ſollten ſchweigen. Ein gut¬
müthiger Krämer ſammelte einige Groſchen und rothe
Pfennige für die Unglücklichen und brachte ihnen die
kleine Ernte, worauf ſie den Lärm einſtellten und in
einem Winkel zuſammen hockten, um das Nachlaſſen des
Unwetters abzuwarten. Brandolf fragte einen Aufwärter,
was das für traurige Muſikanten ſeien. Ja, erwiderte
der Burſche, das ſeien unheimliche und wenig beliebte
Geſellen. Die zwei etwas kürzeren nenne man die
Lohäuſer, und der ganz lange heiße nur der ſchlechte
Schwendtner. Man munkle, es ſeien drei Junker, die einſt
reich geweſen und dann in's Zuchthaus gekommen ſeien.

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[204/0214] ſtehenden Herbergen abzuſteigen. So gerieth er auch, ſchon viele Meilen unterwegs, in eine Poſthalterei, deren große Gaſtſtube von Reiſenden aller Art angefüllt war. Darunter befanden ſich drei lange verwilderte Kerle mit ſtruppigen Bärten und elenden Kleidern, welche verdorbene Muſikinſtrumente bei ſich trugen. Brandolf bemerkte, wie die drei Menſchen nach Verhältniß der fortwährend neu¬ ankommenden Gäſte mit ihren Branntweingläschen von Tiſch zu Tiſch weggedrängt und zuletzt ganz aus der Stube gewieſen wurden. Murrend aber ohne Widerſtand gingen ſie auf den Hof hinaus, ſtellten ſich dort unter das Vordach eines Holzſchuppens und nahmen, wahr¬ ſcheinlich um ſich zu rächen, ihre Inſtrumente zur Hand. Aber ſie begannen eine ſo gräßliche Muſik hören zu laſſen, daß in der Stube das Publikum zu fluchen anhub und verlangte, die Kerle ſollten ſchweigen. Ein gut¬ müthiger Krämer ſammelte einige Groſchen und rothe Pfennige für die Unglücklichen und brachte ihnen die kleine Ernte, worauf ſie den Lärm einſtellten und in einem Winkel zuſammen hockten, um das Nachlaſſen des Unwetters abzuwarten. Brandolf fragte einen Aufwärter, was das für traurige Muſikanten ſeien. Ja, erwiderte der Burſche, das ſeien unheimliche und wenig beliebte Geſellen. Die zwei etwas kürzeren nenne man die Lohäuſer, und der ganz lange heiße nur der ſchlechte Schwendtner. Man munkle, es ſeien drei Junker, die einſt reich geweſen und dann in's Zuchthaus gekommen ſeien.

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882, S. 204. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_sinngedicht_1882/214>, abgerufen am 22.11.2024.