auf der Brust zugeheftet war. Unter dem Kleide zeigte sich eines der groben Hemden ihrer Mädchenzeit, und zwischen dem Hemde und der Brust lag ein ziemlich dicker Brief mit der an Erwin gerichteten Ueberschrift. Hastig küßte er den Brief, warf ihn aber auf das Bett und fing an, Reginen's Brust mit der Hand zu reiben, sprang empor, hob die Leiche wie eine leichte Puppe in die Höhe, drückte sie an seine Brust und hielt ihr stöhnend das Haupt aufrecht, legte sie gleich wieder hin und lief hinaus um Hülfe zu suchen. Alles eilte herbei und ein Arzt war bald zur Stelle; doch die arme Regina blieb leblos und der Doctor stellte den Todesfall fest, welcher die schwer¬ müthige junge Deutsche nach kurzem Eheglück getroffen habe. Erwin blieb endlich allein bei der Leiche zurück und las den Brief.
Die Stätte, an welcher man den Brief finden werde, solle beweisen, wie sie ihn bis in den Tod liebe. Mit diesen Worten begann die Schrift. Einige weitere Sätze ähnlicher Natur verschwieg Erwin, wie er sich ausdrückte, als heiliges Geheimniß der Gattenliebe. Woher sie solche Töne genommen, sei eben das Räthsel der ewigen Natur selbst, wo jegliches Ding unerschöpflich zahlreich geboren werde und in Wahrheit doch nur ein einziges Mal da sei.
Dann folgte die Eröffnung dessen, was sie bedrückt und ihr Leben verdorben, ohne daß sie geahnt habe, in welchem Umfange. Es war freilich traurig und einfach genug, das Geheimniß jenes nächtlichen Besuches, von
auf der Bruſt zugeheftet war. Unter dem Kleide zeigte ſich eines der groben Hemden ihrer Mädchenzeit, und zwiſchen dem Hemde und der Bruſt lag ein ziemlich dicker Brief mit der an Erwin gerichteten Ueberſchrift. Haſtig küßte er den Brief, warf ihn aber auf das Bett und fing an, Reginen's Bruſt mit der Hand zu reiben, ſprang empor, hob die Leiche wie eine leichte Puppe in die Höhe, drückte ſie an ſeine Bruſt und hielt ihr ſtöhnend das Haupt aufrecht, legte ſie gleich wieder hin und lief hinaus um Hülfe zu ſuchen. Alles eilte herbei und ein Arzt war bald zur Stelle; doch die arme Regina blieb leblos und der Doctor ſtellte den Todesfall feſt, welcher die ſchwer¬ müthige junge Deutſche nach kurzem Eheglück getroffen habe. Erwin blieb endlich allein bei der Leiche zurück und las den Brief.
Die Stätte, an welcher man den Brief finden werde, ſolle beweiſen, wie ſie ihn bis in den Tod liebe. Mit dieſen Worten begann die Schrift. Einige weitere Sätze ähnlicher Natur verſchwieg Erwin, wie er ſich ausdrückte, als heiliges Geheimniß der Gattenliebe. Woher ſie ſolche Töne genommen, ſei eben das Räthſel der ewigen Natur ſelbſt, wo jegliches Ding unerſchöpflich zahlreich geboren werde und in Wahrheit doch nur ein einziges Mal da ſei.
Dann folgte die Eröffnung deſſen, was ſie bedrückt und ihr Leben verdorben, ohne daß ſie geahnt habe, in welchem Umfange. Es war freilich traurig und einfach genug, das Geheimniß jenes nächtlichen Beſuches, von
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0158"n="148"/>
auf der Bruſt zugeheftet war. Unter dem Kleide zeigte<lb/>ſich eines der groben Hemden ihrer Mädchenzeit, und<lb/>
zwiſchen dem Hemde und der Bruſt lag ein ziemlich dicker<lb/>
Brief mit der an Erwin gerichteten Ueberſchrift. Haſtig<lb/>
küßte er den Brief, warf ihn aber auf das Bett und fing<lb/>
an, Reginen's Bruſt mit der Hand zu reiben, ſprang<lb/>
empor, hob die Leiche wie eine leichte Puppe in die Höhe,<lb/>
drückte ſie an ſeine Bruſt und hielt ihr ſtöhnend das<lb/>
Haupt aufrecht, legte ſie gleich wieder hin und lief hinaus<lb/>
um Hülfe zu ſuchen. Alles eilte herbei und ein Arzt war<lb/>
bald zur Stelle; doch die arme Regina blieb leblos und<lb/>
der Doctor ſtellte den Todesfall feſt, welcher die ſchwer¬<lb/>
müthige junge Deutſche nach kurzem Eheglück getroffen<lb/>
habe. Erwin blieb endlich allein bei der Leiche zurück<lb/>
und las den Brief.</p><lb/><p>Die Stätte, an welcher man den Brief finden werde,<lb/>ſolle beweiſen, wie ſie ihn bis in den Tod liebe. Mit<lb/>
dieſen Worten begann die Schrift. Einige weitere Sätze<lb/>
ähnlicher Natur verſchwieg Erwin, wie er ſich ausdrückte,<lb/>
als heiliges Geheimniß der Gattenliebe. Woher ſie ſolche<lb/>
Töne genommen, ſei eben das Räthſel der ewigen Natur<lb/>ſelbſt, wo jegliches Ding unerſchöpflich zahlreich geboren<lb/>
werde und in Wahrheit doch nur ein einziges Mal da ſei.</p><lb/><p>Dann folgte die Eröffnung deſſen, was ſie bedrückt<lb/>
und ihr Leben verdorben, ohne daß ſie geahnt habe, in<lb/>
welchem Umfange. Es war freilich traurig und einfach<lb/>
genug, das Geheimniß jenes nächtlichen Beſuches, von<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[148/0158]
auf der Bruſt zugeheftet war. Unter dem Kleide zeigte
ſich eines der groben Hemden ihrer Mädchenzeit, und
zwiſchen dem Hemde und der Bruſt lag ein ziemlich dicker
Brief mit der an Erwin gerichteten Ueberſchrift. Haſtig
küßte er den Brief, warf ihn aber auf das Bett und fing
an, Reginen's Bruſt mit der Hand zu reiben, ſprang
empor, hob die Leiche wie eine leichte Puppe in die Höhe,
drückte ſie an ſeine Bruſt und hielt ihr ſtöhnend das
Haupt aufrecht, legte ſie gleich wieder hin und lief hinaus
um Hülfe zu ſuchen. Alles eilte herbei und ein Arzt war
bald zur Stelle; doch die arme Regina blieb leblos und
der Doctor ſtellte den Todesfall feſt, welcher die ſchwer¬
müthige junge Deutſche nach kurzem Eheglück getroffen
habe. Erwin blieb endlich allein bei der Leiche zurück
und las den Brief.
Die Stätte, an welcher man den Brief finden werde,
ſolle beweiſen, wie ſie ihn bis in den Tod liebe. Mit
dieſen Worten begann die Schrift. Einige weitere Sätze
ähnlicher Natur verſchwieg Erwin, wie er ſich ausdrückte,
als heiliges Geheimniß der Gattenliebe. Woher ſie ſolche
Töne genommen, ſei eben das Räthſel der ewigen Natur
ſelbſt, wo jegliches Ding unerſchöpflich zahlreich geboren
werde und in Wahrheit doch nur ein einziges Mal da ſei.
Dann folgte die Eröffnung deſſen, was ſie bedrückt
und ihr Leben verdorben, ohne daß ſie geahnt habe, in
welchem Umfange. Es war freilich traurig und einfach
genug, das Geheimniß jenes nächtlichen Beſuches, von
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882, S. 148. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_sinngedicht_1882/158>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.