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Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882.

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Geeignetes und Erfreuliches fände. Indem er das auf
einem Tische ausgebreitete glänzende Spielzeug musterte,
wurde sein Blick durch ein starkfarbiges Bild seitwärts
gezogen, das an der Wand unter andern Sachen hing,
die alle mit der Bezeichnung "neue deutsche Schule" ver¬
sehen waren. Sobald er nun hinsah, kam es ihm vor,
als ob das seine Frau wäre. Die rechte Persönlichkeit
und Seele fehlten zwar dem Bild, und der fremdartige
Aufputz machte die zweifelhafte Aehnlichkeit noch fraglicher;
es konnte sich um einen allgemeinen Frauentypus, um ein
Spiel des Zufalls handeln. Allein Regine hatte ihm ja
geschrieben, daß sie einer talentvollen Künstlerin zum
Studium gesessen sei; hier stand der Name der Malerin
mit großen Buchstaben auf dem Bilde geschrieben, der
Vorname freilich in einer Abkürzung, die ebenso wohl
einen männlichen wie einen weiblichen Vornamen bedeuten
konnte; hingegen war die Stadt und die Jahrzahl zu¬
treffend. Erwin fühlte sich, trotz dem blitzartigen Eindruck
von Lust, den ihm der unerwartete Anblick verursacht
hatte, gleich darauf ganz widerwärtig berührt. Nicht
nur, daß das Bildniß seiner Gattin als Verkaufsgegenstand
herumreiste, auch die komödienhafte Tracht und die Auf¬
schrift "Studienkopf", als ob es sich um ein käufliches
Malermodell handelte, kurz, der ganze Vorgang verursachte
ihm, je länger er darüber dachte, den größten Aerger.
Doch verschluckte er den, so gut er konnte, und erhandelte
das Bild mit möglichst gleichgültiger Miene, ohne ahnen

Keller, Sinngedicht. 9

Geeignetes und Erfreuliches fände. Indem er das auf
einem Tiſche ausgebreitete glänzende Spielzeug muſterte,
wurde ſein Blick durch ein ſtarkfarbiges Bild ſeitwärts
gezogen, das an der Wand unter andern Sachen hing,
die alle mit der Bezeichnung „neue deutſche Schule“ ver¬
ſehen waren. Sobald er nun hinſah, kam es ihm vor,
als ob das ſeine Frau wäre. Die rechte Perſönlichkeit
und Seele fehlten zwar dem Bild, und der fremdartige
Aufputz machte die zweifelhafte Aehnlichkeit noch fraglicher;
es konnte ſich um einen allgemeinen Frauentypus, um ein
Spiel des Zufalls handeln. Allein Regine hatte ihm ja
geſchrieben, daß ſie einer talentvollen Künſtlerin zum
Studium geſeſſen ſei; hier ſtand der Name der Malerin
mit großen Buchſtaben auf dem Bilde geſchrieben, der
Vorname freilich in einer Abkürzung, die ebenſo wohl
einen männlichen wie einen weiblichen Vornamen bedeuten
konnte; hingegen war die Stadt und die Jahrzahl zu¬
treffend. Erwin fühlte ſich, trotz dem blitzartigen Eindruck
von Luſt, den ihm der unerwartete Anblick verurſacht
hatte, gleich darauf ganz widerwärtig berührt. Nicht
nur, daß das Bildniß ſeiner Gattin als Verkaufsgegenſtand
herumreiſte, auch die komödienhafte Tracht und die Auf¬
ſchrift „Studienkopf“, als ob es ſich um ein käufliches
Malermodell handelte, kurz, der ganze Vorgang verurſachte
ihm, je länger er darüber dachte, den größten Aerger.
Doch verſchluckte er den, ſo gut er konnte, und erhandelte
das Bild mit möglichſt gleichgültiger Miene, ohne ahnen

Keller, Sinngedicht. 9
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[129/0139] Geeignetes und Erfreuliches fände. Indem er das auf einem Tiſche ausgebreitete glänzende Spielzeug muſterte, wurde ſein Blick durch ein ſtarkfarbiges Bild ſeitwärts gezogen, das an der Wand unter andern Sachen hing, die alle mit der Bezeichnung „neue deutſche Schule“ ver¬ ſehen waren. Sobald er nun hinſah, kam es ihm vor, als ob das ſeine Frau wäre. Die rechte Perſönlichkeit und Seele fehlten zwar dem Bild, und der fremdartige Aufputz machte die zweifelhafte Aehnlichkeit noch fraglicher; es konnte ſich um einen allgemeinen Frauentypus, um ein Spiel des Zufalls handeln. Allein Regine hatte ihm ja geſchrieben, daß ſie einer talentvollen Künſtlerin zum Studium geſeſſen ſei; hier ſtand der Name der Malerin mit großen Buchſtaben auf dem Bilde geſchrieben, der Vorname freilich in einer Abkürzung, die ebenſo wohl einen männlichen wie einen weiblichen Vornamen bedeuten konnte; hingegen war die Stadt und die Jahrzahl zu¬ treffend. Erwin fühlte ſich, trotz dem blitzartigen Eindruck von Luſt, den ihm der unerwartete Anblick verurſacht hatte, gleich darauf ganz widerwärtig berührt. Nicht nur, daß das Bildniß ſeiner Gattin als Verkaufsgegenſtand herumreiſte, auch die komödienhafte Tracht und die Auf¬ ſchrift „Studienkopf“, als ob es ſich um ein käufliches Malermodell handelte, kurz, der ganze Vorgang verurſachte ihm, je länger er darüber dachte, den größten Aerger. Doch verſchluckte er den, ſo gut er konnte, und erhandelte das Bild mit möglichſt gleichgültiger Miene, ohne ahnen Keller, Sinngedicht. 9

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882, S. 129. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_sinngedicht_1882/139>, abgerufen am 24.11.2024.