sprach ziemlich geläufig Englisch und auch etwas Fran¬ zösisch, wie sich im Verlaufe zeigte, letzteres sogar besser, als die meisten Damen bei den amerikanischen Legationen. Als sie hörte, woher ich sei, sah sie ihren Mann flüchtig an, wie wenn sie ihn über ihr Verhalten befragen wollte; er rührte sich aber nicht und so ließ sie sich auch weiter Nichts merken. Dennoch schämte er sich nicht etwa ihres früheren Standes, sondern wollte denselben nur so lange geheim halten, bis sie die völlige Freiheit und Sicherheit der Haltung und damit eine Schutzwehr gegen Demü¬ thigungen erworben habe.
Da er indessen das Bedürfniß offener Mittheilung an irgend Einen nicht ganz unterdrücken konnte, schon um dem Geheimnisse jeden verdächtigen Charakter zu nehmen, wählte er mich bald zum Mitwisser, und ich war nicht wenig verwundert, in der eigenthümlichen Staatsdame die arme Magd wiederzufinden, die jetzt allmälig in meinem Gedächtnisse lebendig ward, wie sie wortlos die Bedränger von sich abwehrte. Auch der Frau geschah damit ein Ge¬ fallen; denn sie hatte wenigstens außer ihrem Manne noch einen Menschen, mit welchem sie ohne Rückhalt von sich sprechen konnte.
Ich erfuhr nun auch, in wie seltsamer Art Erwin die Ausbildung der Frau bis anhin durchgeführt hatte. Vor Allem war er mit ihr nach London gegangen, da es ihm zuerst um die englische Sprache zu thun gewesen; und damit sie vor jeder häuslichen Arbeit bewahrt blieb, wohnte
ſprach ziemlich geläufig Engliſch und auch etwas Fran¬ zöſiſch, wie ſich im Verlaufe zeigte, letzteres ſogar beſſer, als die meiſten Damen bei den amerikaniſchen Legationen. Als ſie hörte, woher ich ſei, ſah ſie ihren Mann flüchtig an, wie wenn ſie ihn über ihr Verhalten befragen wollte; er rührte ſich aber nicht und ſo ließ ſie ſich auch weiter Nichts merken. Dennoch ſchämte er ſich nicht etwa ihres früheren Standes, ſondern wollte denſelben nur ſo lange geheim halten, bis ſie die völlige Freiheit und Sicherheit der Haltung und damit eine Schutzwehr gegen Demü¬ thigungen erworben habe.
Da er indeſſen das Bedürfniß offener Mittheilung an irgend Einen nicht ganz unterdrücken konnte, ſchon um dem Geheimniſſe jeden verdächtigen Charakter zu nehmen, wählte er mich bald zum Mitwiſſer, und ich war nicht wenig verwundert, in der eigenthümlichen Staatsdame die arme Magd wiederzufinden, die jetzt allmälig in meinem Gedächtniſſe lebendig ward, wie ſie wortlos die Bedränger von ſich abwehrte. Auch der Frau geſchah damit ein Ge¬ fallen; denn ſie hatte wenigſtens außer ihrem Manne noch einen Menſchen, mit welchem ſie ohne Rückhalt von ſich ſprechen konnte.
Ich erfuhr nun auch, in wie ſeltſamer Art Erwin die Ausbildung der Frau bis anhin durchgeführt hatte. Vor Allem war er mit ihr nach London gegangen, da es ihm zuerſt um die engliſche Sprache zu thun geweſen; und damit ſie vor jeder häuslichen Arbeit bewahrt blieb, wohnte
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0106"n="96"/>ſprach ziemlich geläufig Engliſch und auch etwas Fran¬<lb/>
zöſiſch, wie ſich im Verlaufe zeigte, letzteres ſogar beſſer,<lb/>
als die meiſten Damen bei den amerikaniſchen Legationen.<lb/>
Als ſie hörte, woher ich ſei, ſah ſie ihren Mann flüchtig<lb/>
an, wie wenn ſie ihn über ihr Verhalten befragen wollte;<lb/>
er rührte ſich aber nicht und ſo ließ ſie ſich auch weiter<lb/>
Nichts merken. Dennoch ſchämte er ſich nicht etwa ihres<lb/>
früheren Standes, ſondern wollte denſelben nur ſo lange<lb/>
geheim halten, bis ſie die völlige Freiheit und Sicherheit<lb/>
der Haltung und damit eine Schutzwehr gegen Demü¬<lb/>
thigungen erworben habe.</p><lb/><p>Da er indeſſen das Bedürfniß offener Mittheilung<lb/>
an irgend Einen nicht ganz unterdrücken konnte, ſchon um<lb/>
dem Geheimniſſe jeden verdächtigen Charakter zu nehmen,<lb/>
wählte er mich bald zum Mitwiſſer, und ich war nicht<lb/>
wenig verwundert, in der eigenthümlichen Staatsdame die<lb/>
arme Magd wiederzufinden, die jetzt allmälig in meinem<lb/>
Gedächtniſſe lebendig ward, wie ſie wortlos die Bedränger<lb/>
von ſich abwehrte. Auch der Frau geſchah damit ein Ge¬<lb/>
fallen; denn ſie hatte wenigſtens außer ihrem Manne<lb/>
noch einen Menſchen, mit welchem ſie ohne Rückhalt von<lb/>ſich ſprechen konnte.</p><lb/><p>Ich erfuhr nun auch, in wie ſeltſamer Art Erwin die<lb/>
Ausbildung der Frau bis anhin durchgeführt hatte. Vor<lb/>
Allem war er mit ihr nach London gegangen, da es ihm<lb/>
zuerſt um die engliſche Sprache zu thun geweſen; und<lb/>
damit ſie vor jeder häuslichen Arbeit bewahrt blieb, wohnte<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[96/0106]
ſprach ziemlich geläufig Engliſch und auch etwas Fran¬
zöſiſch, wie ſich im Verlaufe zeigte, letzteres ſogar beſſer,
als die meiſten Damen bei den amerikaniſchen Legationen.
Als ſie hörte, woher ich ſei, ſah ſie ihren Mann flüchtig
an, wie wenn ſie ihn über ihr Verhalten befragen wollte;
er rührte ſich aber nicht und ſo ließ ſie ſich auch weiter
Nichts merken. Dennoch ſchämte er ſich nicht etwa ihres
früheren Standes, ſondern wollte denſelben nur ſo lange
geheim halten, bis ſie die völlige Freiheit und Sicherheit
der Haltung und damit eine Schutzwehr gegen Demü¬
thigungen erworben habe.
Da er indeſſen das Bedürfniß offener Mittheilung
an irgend Einen nicht ganz unterdrücken konnte, ſchon um
dem Geheimniſſe jeden verdächtigen Charakter zu nehmen,
wählte er mich bald zum Mitwiſſer, und ich war nicht
wenig verwundert, in der eigenthümlichen Staatsdame die
arme Magd wiederzufinden, die jetzt allmälig in meinem
Gedächtniſſe lebendig ward, wie ſie wortlos die Bedränger
von ſich abwehrte. Auch der Frau geſchah damit ein Ge¬
fallen; denn ſie hatte wenigſtens außer ihrem Manne
noch einen Menſchen, mit welchem ſie ohne Rückhalt von
ſich ſprechen konnte.
Ich erfuhr nun auch, in wie ſeltſamer Art Erwin die
Ausbildung der Frau bis anhin durchgeführt hatte. Vor
Allem war er mit ihr nach London gegangen, da es ihm
zuerſt um die engliſche Sprache zu thun geweſen; und
damit ſie vor jeder häuslichen Arbeit bewahrt blieb, wohnte
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882, S. 96. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_sinngedicht_1882/106>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.