Doch erwiederte ich bekümmert: "Wer spricht denn von mir, schöne, schöne Lydia! Was hat Alles, was ich leide oder nicht leide, erlitten habe oder noch erleiden werde, zu sagen, gegen¬ über auch nur Einer unmuthigen oder gequälten Minute, die Sie erleiden? Wie kann ich un¬ werther und ungefügiger Geselle eine solche je ersetzen oder vergüten?"
"Nun," sagte sie, immer vor sich nieder¬ bückend und immer noch lächelnd, doch schon in einer etwas veränderten Weise, "nun, ich muß allerdings gestehen, daß mich Ihr schroffes und ungeschicktes Benehmen sehr geärgert und sogar gequält hat; denn ich war an so etwas nicht gewöhnt, vielmehr daß ich überall, wo ich hin¬ kam, Artigkeit und Ergebenheit um mich ver¬ breitete. Ihre scheinbare grobe Fühllosigkeit hat mich ganz schändlich geärgert, sage ich Ihnen, und um so mehr, als mein Vater und ich viel auf Sie hielten. Um so lieber ist es mir nun, zu sehen, daß Sie doch auch ein bischen Gemüth haben, und besonders, daß ich an mei¬ nem eigenen Werthe nicht länger zu zweifeln brauche; denn was mich am meisten kränkte,
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Doch erwiederte ich bekümmert: »Wer ſpricht denn von mir, ſchöne, ſchöne Lydia! Was hat Alles, was ich leide oder nicht leide, erlitten habe oder noch erleiden werde, zu ſagen, gegen¬ über auch nur Einer unmuthigen oder gequälten Minute, die Sie erleiden? Wie kann ich un¬ werther und ungefügiger Geſelle eine ſolche je erſetzen oder vergüten?«
»Nun,« ſagte ſie, immer vor ſich nieder¬ bückend und immer noch lächelnd, doch ſchon in einer etwas veränderten Weiſe, »nun, ich muß allerdings geſtehen, daß mich Ihr ſchroffes und ungeſchicktes Benehmen ſehr geärgert und ſogar gequält hat; denn ich war an ſo etwas nicht gewöhnt, vielmehr daß ich überall, wo ich hin¬ kam, Artigkeit und Ergebenheit um mich ver¬ breitete. Ihre ſcheinbare grobe Fühlloſigkeit hat mich ganz ſchändlich geärgert, ſage ich Ihnen, und um ſo mehr, als mein Vater und ich viel auf Sie hielten. Um ſo lieber iſt es mir nun, zu ſehen, daß Sie doch auch ein bischen Gemüth haben, und beſonders, daß ich an mei¬ nem eigenen Werthe nicht länger zu zweifeln brauche; denn was mich am meiſten kränkte,
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Doch erwiederte ich bekümmert: »Wer ſpricht
denn von mir, ſchöne, ſchöne Lydia! Was hat
Alles, was ich leide oder nicht leide, erlitten
habe oder noch erleiden werde, zu ſagen, gegen¬
über auch nur Einer unmuthigen oder gequälten
Minute, die Sie erleiden? Wie kann ich un¬
werther und ungefügiger Geſelle eine ſolche je
erſetzen oder vergüten?«
»Nun,« ſagte ſie, immer vor ſich nieder¬
bückend und immer noch lächelnd, doch ſchon in
einer etwas veränderten Weiſe, »nun, ich muß
allerdings geſtehen, daß mich Ihr ſchroffes und
ungeſchicktes Benehmen ſehr geärgert und ſogar
gequält hat; denn ich war an ſo etwas nicht
gewöhnt, vielmehr daß ich überall, wo ich hin¬
kam, Artigkeit und Ergebenheit um mich ver¬
breitete. Ihre ſcheinbare grobe Fühlloſigkeit hat
mich ganz ſchändlich geärgert, ſage ich Ihnen,
und um ſo mehr, als mein Vater und ich viel
auf Sie hielten. Um ſo lieber iſt es mir
nun, zu ſehen, daß Sie doch auch ein bischen
Gemüth haben, und beſonders, daß ich an mei¬
nem eigenen Werthe nicht länger zu zweifeln
brauche; denn was mich am meiſten kränkte,
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Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856, S. 83. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/95>, abgerufen am 22.11.2024.
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