nieder und senkte das schöne Haupt auf die Hände; die goldenen Haare fielen darüber und reiche Thränen quollen durch ihre Finger.
"Ich stand vor ihr still und sagte mit ver¬ sagender Stimme: "Was wollen Sie denn, was ist Ihnen, Fräulein Lydia?"
"Was wollen Sie denn!" sagte sie "ist es je erhört, eine schöne und feine Dame so zu quälen und zu mißhandeln! Aus welchem bar¬ barischen Lande kommen Sie denn? Was tra¬ gen Sie für ein Stück Holz in der Brust?"
"Wie quäle, wie mißhandle ich denn?" er¬ wiederte ich unschlüssig und betreten; denn ob¬ gleich sie einen guten Sinn haben konnte, schien mir diese Sprache dennoch nicht die rechte zu sein.
"Sie sind ein grober und übermüthiger Mensch!" sagte sie, ohne aufzublicken.
Nun konnte ich nicht mehr an mich halten und erwiederte: "Sie würden dies nicht sagen, mein Fräulein, wenn Sie wüßten, wie wenig grob und übermüthig ich in meinem Herzen gegen Sie gesinnt bin! Und es ist gerade meine große Höflichkeit und Demuth, welche --"
nieder und ſenkte das ſchöne Haupt auf die Hände; die goldenen Haare fielen darüber und reiche Thränen quollen durch ihre Finger.
»Ich ſtand vor ihr ſtill und ſagte mit ver¬ ſagender Stimme: »Was wollen Sie denn, was iſt Ihnen, Fräulein Lydia?«
»Was wollen Sie denn!« ſagte ſie »iſt es je erhört, eine ſchöne und feine Dame ſo zu quälen und zu mißhandeln! Aus welchem bar¬ bariſchen Lande kommen Sie denn? Was tra¬ gen Sie für ein Stück Holz in der Bruſt?«
»Wie quäle, wie mißhandle ich denn?« er¬ wiederte ich unſchlüſſig und betreten; denn ob¬ gleich ſie einen guten Sinn haben konnte, ſchien mir dieſe Sprache dennoch nicht die rechte zu ſein.
»Sie ſind ein grober und übermüthiger Menſch!« ſagte ſie, ohne aufzublicken.
Nun konnte ich nicht mehr an mich halten und erwiederte: »Sie würden dies nicht ſagen, mein Fräulein, wenn Sie wüßten, wie wenig grob und übermüthig ich in meinem Herzen gegen Sie geſinnt bin! Und es iſt gerade meine große Höflichkeit und Demuth, welche —«
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nieder und ſenkte das ſchöne Haupt auf die
Hände; die goldenen Haare fielen darüber und
reiche Thränen quollen durch ihre Finger.
»Ich ſtand vor ihr ſtill und ſagte mit ver¬
ſagender Stimme: »Was wollen Sie denn, was
iſt Ihnen, Fräulein Lydia?«
»Was wollen Sie denn!« ſagte ſie »iſt es
je erhört, eine ſchöne und feine Dame ſo zu
quälen und zu mißhandeln! Aus welchem bar¬
bariſchen Lande kommen Sie denn? Was tra¬
gen Sie für ein Stück Holz in der Bruſt?«
»Wie quäle, wie mißhandle ich denn?« er¬
wiederte ich unſchlüſſig und betreten; denn ob¬
gleich ſie einen guten Sinn haben konnte, ſchien
mir dieſe Sprache dennoch nicht die rechte
zu ſein.
»Sie ſind ein grober und übermüthiger
Menſch!« ſagte ſie, ohne aufzublicken.
Nun konnte ich nicht mehr an mich halten
und erwiederte: »Sie würden dies nicht ſagen,
mein Fräulein, wenn Sie wüßten, wie wenig
grob und übermüthig ich in meinem Herzen gegen
Sie geſinnt bin! Und es iſt gerade meine große
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Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856, S. 80. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/92>, abgerufen am 06.05.2024.
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