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Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856.

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und rückte den Korb ganz nahe an das Rosen¬
bäumchen, das ich eben säuberte, setzte sich aber¬
mals darauf und nähete ein weißes seidenes
Band auf ein zierliches Nachthäubchen oder was
es war; denn genau konnte ich es nicht unter¬
scheiden, da ich diesmal kaum hinsah und ihr
nur wenig Bescheid gab, indem ich etwas ver¬
legen wurde. Sie ging bald wieder fort und
kam zum dritten Male mit einem feinen kunstvoll
in Elfenbein gearbeiteten Geduldspiel aus China,
packte den alten Korb und schleppte ihn wieder
weg, indem sie sich in einiger Entfernung darauf
setzte, mir den Rücken zuwendend, und ganz still
das Spiel zu lösen versuchte. Ich blickte jetzt
unverwandt nach ihr hin, bis sie, das Spielzeug
in die Tasche steckend, unversehens sich erhob
und einen seltsamen wohllautenden Triller singend
davon ging, ohne sich wieder nach mir umzu¬
sehen. Dies alles wollte mir nicht klar sein
noch einleuchten, und meine Seele rümpfte leise
die Nase zu diesem Thun; aber von Stund an
war ich verliebt in Lydia."

"In der wunderbarsten gelinden Aufregung
ließ ich mein Bäumchen stehen, holte die Dop¬

und rückte den Korb ganz nahe an das Roſen¬
bäumchen, das ich eben ſäuberte, ſetzte ſich aber¬
mals darauf und nähete ein weißes ſeidenes
Band auf ein zierliches Nachthäubchen oder was
es war; denn genau konnte ich es nicht unter¬
ſcheiden, da ich diesmal kaum hinſah und ihr
nur wenig Beſcheid gab, indem ich etwas ver¬
legen wurde. Sie ging bald wieder fort und
kam zum dritten Male mit einem feinen kunſtvoll
in Elfenbein gearbeiteten Geduldſpiel aus China,
packte den alten Korb und ſchleppte ihn wieder
weg, indem ſie ſich in einiger Entfernung darauf
ſetzte, mir den Rücken zuwendend, und ganz ſtill
das Spiel zu löſen verſuchte. Ich blickte jetzt
unverwandt nach ihr hin, bis ſie, das Spielzeug
in die Taſche ſteckend, unverſehens ſich erhob
und einen ſeltſamen wohllautenden Triller ſingend
davon ging, ohne ſich wieder nach mir umzu¬
ſehen. Dies alles wollte mir nicht klar ſein
noch einleuchten, und meine Seele rümpfte leiſe
die Naſe zu dieſem Thun; aber von Stund an
war ich verliebt in Lydia.«

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ließ ich mein Bäumchen ſtehen, holte die Dop¬

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[60/0072] und rückte den Korb ganz nahe an das Roſen¬ bäumchen, das ich eben ſäuberte, ſetzte ſich aber¬ mals darauf und nähete ein weißes ſeidenes Band auf ein zierliches Nachthäubchen oder was es war; denn genau konnte ich es nicht unter¬ ſcheiden, da ich diesmal kaum hinſah und ihr nur wenig Beſcheid gab, indem ich etwas ver¬ legen wurde. Sie ging bald wieder fort und kam zum dritten Male mit einem feinen kunſtvoll in Elfenbein gearbeiteten Geduldſpiel aus China, packte den alten Korb und ſchleppte ihn wieder weg, indem ſie ſich in einiger Entfernung darauf ſetzte, mir den Rücken zuwendend, und ganz ſtill das Spiel zu löſen verſuchte. Ich blickte jetzt unverwandt nach ihr hin, bis ſie, das Spielzeug in die Taſche ſteckend, unverſehens ſich erhob und einen ſeltſamen wohllautenden Triller ſingend davon ging, ohne ſich wieder nach mir umzu¬ ſehen. Dies alles wollte mir nicht klar ſein noch einleuchten, und meine Seele rümpfte leiſe die Naſe zu dieſem Thun; aber von Stund an war ich verliebt in Lydia.« »In der wunderbarſten gelinden Aufregung ließ ich mein Bäumchen ſtehen, holte die Dop¬

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856, S. 60. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/72>, abgerufen am 25.11.2024.