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Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856.

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nahm mir vor, sobald als thunlich selber heim¬
zukehren und meine erworbene Arbeitsfähigkeit und
feste Lebensart in der Heimath zu verwenden.
Denn ich gedachte damit etwas Besseres nach
Seldwyla zu bringen, als wenn ich eine Million
dahin brächte, und malte mir schon aus, wie
ich die Haselanten und Fischesser da anfahren
wollte, wenn sie mir über den Weg liefen."

"Doch damit hatte es noch gute Wege und
ich sollte erst noch solche Dinge erfahren und so
in meinem Wesen verändert und aufgerüttelt wer¬
den, daß mir die Lust verging, andere Leute anfah¬
ren zu wollen. Der Kommandeur hatte mich
gänzlich zu seinem Factotum gemacht und ich
mußte fast die ganze Zeit bei ihm zubringen.
Es war ein seltsamer Mann von etwa fünfzig
Jahren, dessen Gattin in Irland lebte auf einem
alten Thurm, da sie wo möglich noch wunder¬
licher sein mußte, als er; so lange sie zusammen¬
gelebt, hatten sie sich fortwährend angeknurrt,
wie zwei wilde Katzen, und sie litten Beide an
der fixen Idee, daß sie sich gegenseitig in einander
getäuscht hätten, obwohl Niemand besser für ein¬
ander geschaffen war. Auch waren sie gesund

nahm mir vor, ſobald als thunlich ſelber heim¬
zukehren und meine erworbene Arbeitsfähigkeit und
feſte Lebensart in der Heimath zu verwenden.
Denn ich gedachte damit etwas Beſſeres nach
Seldwyla zu bringen, als wenn ich eine Million
dahin brächte, und malte mir ſchon aus, wie
ich die Haſelanten und Fiſcheſſer da anfahren
wollte, wenn ſie mir über den Weg liefen.«

»Doch damit hatte es noch gute Wege und
ich ſollte erſt noch ſolche Dinge erfahren und ſo
in meinem Weſen verändert und aufgerüttelt wer¬
den, daß mir die Luſt verging, andere Leute anfah¬
ren zu wollen. Der Kommandeur hatte mich
gänzlich zu ſeinem Factotum gemacht und ich
mußte faſt die ganze Zeit bei ihm zubringen.
Es war ein ſeltſamer Mann von etwa fünfzig
Jahren, deſſen Gattin in Irland lebte auf einem
alten Thurm, da ſie wo möglich noch wunder¬
licher ſein mußte, als er; ſo lange ſie zuſammen¬
gelebt, hatten ſie ſich fortwährend angeknurrt,
wie zwei wilde Katzen, und ſie litten Beide an
der fixen Idee, daß ſie ſich gegenſeitig in einander
getäuſcht hätten, obwohl Niemand beſſer für ein¬
ander geſchaffen war. Auch waren ſie geſund

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[45/0057] nahm mir vor, ſobald als thunlich ſelber heim¬ zukehren und meine erworbene Arbeitsfähigkeit und feſte Lebensart in der Heimath zu verwenden. Denn ich gedachte damit etwas Beſſeres nach Seldwyla zu bringen, als wenn ich eine Million dahin brächte, und malte mir ſchon aus, wie ich die Haſelanten und Fiſcheſſer da anfahren wollte, wenn ſie mir über den Weg liefen.« »Doch damit hatte es noch gute Wege und ich ſollte erſt noch ſolche Dinge erfahren und ſo in meinem Weſen verändert und aufgerüttelt wer¬ den, daß mir die Luſt verging, andere Leute anfah¬ ren zu wollen. Der Kommandeur hatte mich gänzlich zu ſeinem Factotum gemacht und ich mußte faſt die ganze Zeit bei ihm zubringen. Es war ein ſeltſamer Mann von etwa fünfzig Jahren, deſſen Gattin in Irland lebte auf einem alten Thurm, da ſie wo möglich noch wunder¬ licher ſein mußte, als er; ſo lange ſie zuſammen¬ gelebt, hatten ſie ſich fortwährend angeknurrt, wie zwei wilde Katzen, und ſie litten Beide an der fixen Idee, daß ſie ſich gegenſeitig in einander getäuſcht hätten, obwohl Niemand beſſer für ein¬ ander geſchaffen war. Auch waren ſie geſund

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856, S. 45. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/57>, abgerufen am 06.05.2024.