ganzen Werth seiner eigenen Person setzte. Dies gefiel ihr über die Maßen wohl; denn es war in allem, was er sagte oder that, eine andere Art, als sie bislang erfahren und dies bestärkte und rührte sie so tief, daß sie nun gleichermaßen der stärksten Liebe anheim fiel und nun nicht mehr von einer Wahl für sie die Rede war. Jedermann sah diese Geschichte spielen und es wurde offen darüber gesprochen und vielfach gescherzt. Dem Fräulein war es höchlich wohl dabei, und indem ihr das Herz vor banger Erwartung zerspringen wollte, half sie den Roman von ihrer Seite doch ein wenig verwickeln und ausspinnen, um ihn recht aus¬ zukosten und zu genießen. Denn der junge Mann beging in seiner Verwirrung so köstliche und kindliche Dinge, dergleichen sie niemals er¬ fahren, und für sie ein Mal schmeichelhafter und angenehmer waren, als das andere. Er aber in seiner Gradheit und Ehrlichkeit konnte es nicht lange so aushalten; da Jeder darauf anspielte und sich einen Scherz erlaubte, so schien es ihm eine Komödie zu werden, als deren Gegenstand ihm seine Geliebte viel zu gut und heilig war,
ganzen Werth ſeiner eigenen Perſon ſetzte. Dies gefiel ihr über die Maßen wohl; denn es war in allem, was er ſagte oder that, eine andere Art, als ſie bislang erfahren und dies beſtärkte und rührte ſie ſo tief, daß ſie nun gleichermaßen der ſtärkſten Liebe anheim fiel und nun nicht mehr von einer Wahl für ſie die Rede war. Jedermann ſah dieſe Geſchichte ſpielen und es wurde offen darüber geſprochen und vielfach geſcherzt. Dem Fräulein war es höchlich wohl dabei, und indem ihr das Herz vor banger Erwartung zerſpringen wollte, half ſie den Roman von ihrer Seite doch ein wenig verwickeln und ausſpinnen, um ihn recht aus¬ zukoſten und zu genießen. Denn der junge Mann beging in ſeiner Verwirrung ſo köſtliche und kindliche Dinge, dergleichen ſie niemals er¬ fahren, und für ſie ein Mal ſchmeichelhafter und angenehmer waren, als das andere. Er aber in ſeiner Gradheit und Ehrlichkeit konnte es nicht lange ſo aushalten; da Jeder darauf anſpielte und ſich einen Scherz erlaubte, ſo ſchien es ihm eine Komödie zu werden, als deren Gegenſtand ihm ſeine Geliebte viel zu gut und heilig war,
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0498"n="486"/>
ganzen Werth ſeiner eigenen Perſon ſetzte. Dies<lb/>
gefiel ihr über die Maßen wohl; denn es<lb/>
war in allem, was er ſagte oder that, eine<lb/>
andere Art, als ſie bislang erfahren und dies<lb/>
beſtärkte und rührte ſie ſo tief, daß ſie nun<lb/>
gleichermaßen der ſtärkſten Liebe anheim fiel<lb/>
und nun nicht mehr von einer Wahl für ſie<lb/>
die Rede war. Jedermann ſah dieſe Geſchichte<lb/>ſpielen und es wurde offen darüber geſprochen<lb/>
und vielfach geſcherzt. Dem Fräulein war es<lb/>
höchlich wohl dabei, und indem ihr das Herz<lb/>
vor banger Erwartung zerſpringen wollte, half<lb/>ſie den Roman von ihrer Seite doch ein wenig<lb/>
verwickeln und ausſpinnen, um ihn recht aus¬<lb/>
zukoſten und zu genießen. Denn der junge<lb/>
Mann beging in ſeiner Verwirrung ſo köſtliche<lb/>
und kindliche Dinge, dergleichen ſie niemals er¬<lb/>
fahren, und für ſie ein Mal ſchmeichelhafter und<lb/>
angenehmer waren, als das andere. Er aber in<lb/>ſeiner Gradheit und Ehrlichkeit konnte es nicht<lb/>
lange ſo aushalten; da Jeder darauf anſpielte<lb/>
und ſich einen Scherz erlaubte, ſo ſchien es ihm<lb/>
eine Komödie zu werden, als deren Gegenſtand<lb/>
ihm ſeine Geliebte viel zu gut und heilig war,<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[486/0498]
ganzen Werth ſeiner eigenen Perſon ſetzte. Dies
gefiel ihr über die Maßen wohl; denn es
war in allem, was er ſagte oder that, eine
andere Art, als ſie bislang erfahren und dies
beſtärkte und rührte ſie ſo tief, daß ſie nun
gleichermaßen der ſtärkſten Liebe anheim fiel
und nun nicht mehr von einer Wahl für ſie
die Rede war. Jedermann ſah dieſe Geſchichte
ſpielen und es wurde offen darüber geſprochen
und vielfach geſcherzt. Dem Fräulein war es
höchlich wohl dabei, und indem ihr das Herz
vor banger Erwartung zerſpringen wollte, half
ſie den Roman von ihrer Seite doch ein wenig
verwickeln und ausſpinnen, um ihn recht aus¬
zukoſten und zu genießen. Denn der junge
Mann beging in ſeiner Verwirrung ſo köſtliche
und kindliche Dinge, dergleichen ſie niemals er¬
fahren, und für ſie ein Mal ſchmeichelhafter und
angenehmer waren, als das andere. Er aber in
ſeiner Gradheit und Ehrlichkeit konnte es nicht
lange ſo aushalten; da Jeder darauf anſpielte
und ſich einen Scherz erlaubte, ſo ſchien es ihm
eine Komödie zu werden, als deren Gegenſtand
ihm ſeine Geliebte viel zu gut und heilig war,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856, S. 486. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/498>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.