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Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856.

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von das nagende Gefühl, daß ich mein Essen
nicht verdiente, weil ich nichts lernte und nichts
that, ja weil mich gar nichts reizte zu irgend
einer Beschäftigung und also keine Hoffnung
war, daß es je anders würde; denn Alles was
ich Andere thun sah, kam mir erbärmlich und
albern vor; selbst Euer ewiges Spinnen war
mir unerträglich und machte mir Kopfweh, ob¬
gleich es mich Müssigen erhielt. So rannte ich
davon in einer Nacht in der bittersten Herzens¬
qual und lief bis zum Morgen, wohl sieben Stun¬
den weit von hier. Wie die Sonne aufging,
sah ich Leute, die auf einer großen Wiese Heu
machten; ohne ein Wort zu sagen oder zu fragen,
legte ich mein Bündel an den Rand, ergriff
einen Rechen oder eine Heugabel und arbeitete
wie ein Besessener mit den Leuten und mit der
größten Geschicklichkeit; denn ich hatte mir wäh¬
rend meines Herumlungerns hier alle Handgriffe
und Übungen derjenigen, welche arbeiteten, wohl
gemerkt, sogar öfter dabei gedacht, wie sie dies
und jenes ungeschickt in die Hand nähmen und
wie man eigentlich die Hände ganz anders müßte

3 *

von das nagende Gefühl, daß ich mein Eſſen
nicht verdiente, weil ich nichts lernte und nichts
that, ja weil mich gar nichts reizte zu irgend
einer Beſchäftigung und alſo keine Hoffnung
war, daß es je anders würde; denn Alles was
ich Andere thun ſah, kam mir erbärmlich und
albern vor; ſelbſt Euer ewiges Spinnen war
mir unerträglich und machte mir Kopfweh, ob¬
gleich es mich Müſſigen erhielt. So rannte ich
davon in einer Nacht in der bitterſten Herzens¬
qual und lief bis zum Morgen, wohl ſieben Stun¬
den weit von hier. Wie die Sonne aufging,
ſah ich Leute, die auf einer großen Wieſe Heu
machten; ohne ein Wort zu ſagen oder zu fragen,
legte ich mein Bündel an den Rand, ergriff
einen Rechen oder eine Heugabel und arbeitete
wie ein Beſeſſener mit den Leuten und mit der
größten Geſchicklichkeit; denn ich hatte mir wäh¬
rend meines Herumlungerns hier alle Handgriffe
und Übungen derjenigen, welche arbeiteten, wohl
gemerkt, ſogar öfter dabei gedacht, wie ſie dies
und jenes ungeſchickt in die Hand nähmen und
wie man eigentlich die Hände ganz anders müßte

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[35/0047] von das nagende Gefühl, daß ich mein Eſſen nicht verdiente, weil ich nichts lernte und nichts that, ja weil mich gar nichts reizte zu irgend einer Beſchäftigung und alſo keine Hoffnung war, daß es je anders würde; denn Alles was ich Andere thun ſah, kam mir erbärmlich und albern vor; ſelbſt Euer ewiges Spinnen war mir unerträglich und machte mir Kopfweh, ob¬ gleich es mich Müſſigen erhielt. So rannte ich davon in einer Nacht in der bitterſten Herzens¬ qual und lief bis zum Morgen, wohl ſieben Stun¬ den weit von hier. Wie die Sonne aufging, ſah ich Leute, die auf einer großen Wieſe Heu machten; ohne ein Wort zu ſagen oder zu fragen, legte ich mein Bündel an den Rand, ergriff einen Rechen oder eine Heugabel und arbeitete wie ein Beſeſſener mit den Leuten und mit der größten Geſchicklichkeit; denn ich hatte mir wäh¬ rend meines Herumlungerns hier alle Handgriffe und Übungen derjenigen, welche arbeiteten, wohl gemerkt, ſogar öfter dabei gedacht, wie ſie dies und jenes ungeſchickt in die Hand nähmen und wie man eigentlich die Hände ganz anders müßte 3 *

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856, S. 35. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/47>, abgerufen am 28.11.2024.