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Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856.

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meinen Gespött zu machen, wollte ihnen das
Herz brechen; denn sie hatten nicht nur den
weisen Plan mancher Jahre verfehlt und ver¬
nichtet, sondern auch den Ruhm besonnener und
rechtlich ruhiger Leute eingebüßt.

Jobst, der der älteste war und sieben Jahre
hier gewesen, war ganz verloren und konnte
sich nicht zurecht finden. Ganz schwermüthig zog
er vor Tag wieder aus der Stadt, und hing
sich an der Stelle, wo sie Alle gestern gesessen,
an einen Baum. Als der Baier eine Stunde
später da vorüber kam und ihn erblickte, faßte
ihn ein solches Entsetzen, daß er wie wahnsinnig
davon rannte, sein ganzes Wesen veränderte und,
wie man nachher hörte, ein liederlicher Mensch
und alter Handwerksbursch wurde, der keines
Menschen Freund war.

Dietrich der Schwabe allein blieb ein Ge¬
rechter und hielt sich oben in dem Städtchen;
aber er hatte nicht viel Freude daran; denn
Züs ließ ihm gar nicht den Ruhm davon, re¬
gierte und unterdrückte ihn und betrachtete sich
selbst als die alleinige Quelle alles Guten.


meinen Geſpött zu machen, wollte ihnen das
Herz brechen; denn ſie hatten nicht nur den
weiſen Plan mancher Jahre verfehlt und ver¬
nichtet, ſondern auch den Ruhm beſonnener und
rechtlich ruhiger Leute eingebüßt.

Jobſt, der der älteſte war und ſieben Jahre
hier geweſen, war ganz verloren und konnte
ſich nicht zurecht finden. Ganz ſchwermüthig zog
er vor Tag wieder aus der Stadt, und hing
ſich an der Stelle, wo ſie Alle geſtern geſeſſen,
an einen Baum. Als der Baier eine Stunde
ſpäter da vorüber kam und ihn erblickte, faßte
ihn ein ſolches Entſetzen, daß er wie wahnſinnig
davon rannte, ſein ganzes Weſen veränderte und,
wie man nachher hörte, ein liederlicher Menſch
und alter Handwerksburſch wurde, der keines
Menſchen Freund war.

Dietrich der Schwabe allein blieb ein Ge¬
rechter und hielt ſich oben in dem Städtchen;
aber er hatte nicht viel Freude daran; denn
Züs ließ ihm gar nicht den Ruhm davon, re¬
gierte und unterdrückte ihn und betrachtete ſich
ſelbſt als die alleinige Quelle alles Guten.


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[446/0458] meinen Geſpött zu machen, wollte ihnen das Herz brechen; denn ſie hatten nicht nur den weiſen Plan mancher Jahre verfehlt und ver¬ nichtet, ſondern auch den Ruhm beſonnener und rechtlich ruhiger Leute eingebüßt. Jobſt, der der älteſte war und ſieben Jahre hier geweſen, war ganz verloren und konnte ſich nicht zurecht finden. Ganz ſchwermüthig zog er vor Tag wieder aus der Stadt, und hing ſich an der Stelle, wo ſie Alle geſtern geſeſſen, an einen Baum. Als der Baier eine Stunde ſpäter da vorüber kam und ihn erblickte, faßte ihn ein ſolches Entſetzen, daß er wie wahnſinnig davon rannte, ſein ganzes Weſen veränderte und, wie man nachher hörte, ein liederlicher Menſch und alter Handwerksburſch wurde, der keines Menſchen Freund war. Dietrich der Schwabe allein blieb ein Ge¬ rechter und hielt ſich oben in dem Städtchen; aber er hatte nicht viel Freude daran; denn Züs ließ ihm gar nicht den Ruhm davon, re¬ gierte und unterdrückte ihn und betrachtete ſich ſelbſt als die alleinige Quelle alles Guten.

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856, S. 446. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/458>, abgerufen am 22.11.2024.